Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 15)
lib. 3 de Anima wohl geschlossen, als er die Seele eines Menschen einer leeren ohnbeschriebenen Tafel verglichen, darauf man allerhand notieren könne, und daß solches alles darum von dem höchsten Schöpfer geschehen seie, damit solche glatte Tafel durch fleißige Impression und Übung gezeichnet, und zur Vollkommenheit und Perfektion gebracht werde; dahero dann auch sein Kommentator Averroës lib. 2 de Anima (da der Philosophus sagt, der Intellectus sei alls potentia, werde aber nichts in actum gebracht, als durch die scientiam, das ist, es seie des Menschen Verstand allerdings fähig, könne aber nichts ohne fleißige Übung hineingebracht werden) diesen klaren Ausschlag gibt: nämlich, es seie diese scientia oder Übung die Perfektion der Seelen, welche für sich selbst überall nichts an sich habe; solches bestätigt Cicero lib. 2. Tuscul. quaest., welcher die Seel des Menschen ohne Lehr, Wissenschaft und Übung einem solchen Feld vergleicht, das zwar von Natur fruchtbar seie, aber wann man es nicht baue und besame, gleichwohl keine Frucht bringe.
Solches alles erwiese ich mit meinem eigenen Exempel, denn daß ich alles so bald gefaßt, was mir der Fromme Einsiedel vorgehalten, ist daher kommen, weil er die geschlichte Tafel meiner Seelen ganz leer, und ohn einige zuvor hineingedruckte Bildnussen gefunden, so etwas anders hineinzubringen hätt hindern mögen; gleichwohl aber ist die pure Einfalt, gegen andern Menschen zu rechnen, noch immerzu bei mir verblieben, dahero der Einsiedel (weil weder er noch ich meinen rechten Namen gewußt) mich nur Simplicium genennet.
Mithin lernete ich auch beten, und als er meinem steifen Vorsatz, bei ihm zu bleiben, ein Genügen zu tun entschlossen, baueten wir vor mich eine Hütten gleich der seinigen, von Holz, Reisern und Erden, fast formiert wie der Musketierer im Feld ihre Zelten, oder besser zu sagen, die Bauren an teils Orten ihre Rubenlöcher haben, zwar so nieder, daß ich kaum aufrecht darin sitzen konnte; mein Bett war von dürrem Laub und Gras, und ebenso groß als die Hütte selbst, so daß ich nit weiß, ob ich dergleichen Wohnung oder Höhlen eine bedeckte Lägerstatt oder eine Hütte nennen soll.
Das 10. Kapitel
Wasgestalten er Schreiben und Lesen im wilden Wald gelernet.
Als ich das erstemal den Einsiedel in der Bibel lesen sahe, konnte ich mir nicht einbilden, mit wem er doch ein solch heimlich und meinem Bedunken nach sehr ernstlich Gespräch haben müßte; ich sahe wohl die Bewegung seiner Lippen, hingegen aber niemand, der mit ihm redet, und ob ich zwar nichts vom Lesen und Schreiben gewußt, so merkte ich doch an seinen Augen daß ers mit etwas in selbigem Buch zu tun hatte: Ich gab Achtung auf das Buch, und nachdem er solches beigelegt, machte ich mich dahinder, schlugs auf, und bekam im ersten Griff das erste Kapitel des Hiobs und die davorstehende Figur, so ein feiner Holzschnitt, und schön illuminiert war, in die Augen; ich fragte dieselbige Bilder seltsame Sachen, weil mir aber kein Antwort widerfahren wollte, wurde ich ungedultig, und sagte eben, als der Einsiedel hinder mich schlich: »Ihr kleine Hudler, habt ihr dann keine Mäuler mehr. habt ihr nicht allererst