Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 19)
deines unnützen Geschreis meinen letzten Worten, welche seind, daß du dich je länger je mehr selbst erkennen solltest, und wann du gleich so alt als Mathusalem würdest, so laß solche Übung nicht aus dem Herzen, dann daß die meiste Menschen verdammt werden, ist die Ursach, daß sie nicht gewußt haben, was sie gewesen, und was sie werden können oder werden müssen.« Weiters riete er mir getreulich, ich sollte mich jederzeit vor böser Gesellschaft hüten, dann derselben Schädlichkeit wäre unaussprechlich. Er gab mir dessen ein Exempel und sagte: »Wann du einen Tropfen Malvasier in ein Geschirr voll Essig schüttest, so wird er alsobald zu Essig; wirst du aber so viel Essig in Malvasier gießen, so wird er auch unter dem Malvasier hingehen. Liebster Sohn«, sagte er, »vor allen Dingen bleibe standhaftig, dann wer verharret bis ans End, der wird selig, geschiehet aber wider mein Verhoffen daß du aus menschlicher Schwachheit fällst, so stehe durch ein rechtschaffene Buß geschwind wieder auf.«
Dieser sorgfältige fromme Mann hielte mir allein dies wenige vor, nicht zwar, als hätte er nichts mehrers gewußt, sondern darum, dieweil ich ihn erstlich meiner Jugend wegen nicht fähig genug zu sein bedunkte, ein mehrers in solchem Zustand zu fassen, und dann weil wenig Wort besser, als ein langes Geplauder, im Gedächtnus zu behalten seind, und wann sie anders Saft und Nachtruck haben, durch das Nachdenken größern Nutzen schaffen, als eine lange Sermon, die man austrücklich verstanden hat, und bald wieder zu vergessen pflegt.
Diese drei Stück, sich selbst erkennen, böse Gesellschaft meiden, und beständig verbleiben, hat dieser fromme Mann ohne Zweifel deswegen vor gut und nötig geachtet, weil er solches selbsten praktiziert, und daß es ihme dabei nicht mißlungen ist; denn nachdem er sich selbst erkannt, hat er nicht allein böse Gesellschaften, sondern auch die ganze Welt geflohen, ist auch in solchem Vorsatz bis an das Ende verharret, an welchem ohn Zweifel die Seligkeit hängt, welchergestalt aber, folgt hernach.
Nachdem er mir nun obige Stück vorgehalten, hat er mit seiner Reithaue angefangen sein eigenes Grab zu machen, ich half so gut ich konnte, wie er mir befahl, und bildete mir doch dasjenige nicht ein, worauf es angesehen war, indessen sagte er: »Mein lieber und wahrer einiger Sohn (dann ich habe sonsten keine Kreatur als dich, zu Ehren unsers Schöpfers erzeuget) wann meine Seele an ihren Ort gangen ist, so leiste meinem Leib deine Schuldigkeit und die letzte Ehre, scharre mich mit derjenigen Erden wieder zu, die wir anjetzo aus dieser Gruben gegraben haben.« Darauf nahm er mich in seine Arm und druckte mich küssend viel härter an seine Brust, als einem Mann, wie er zu sein schiene, hätte müglich sein können. »Liebes Kind«, sagte er, »ich befehle dich in Gottes Schutz, und sterbe um soviel desto fröhlicher, weil ich hoffe, er werde dich darin aufnemmen«; ich hingegen konnte nichts anders, als klagen und heulen, ich hängete mich an seine Ketten, die er am Hals trug, und vermeinte ihn damit zu halten, damit er mir nicht entgehen sollte. Er aber sagte: »Mein Sohn lasse