Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 20)

mich, daß ich sehe, ob mir das Grab lang genug seie«, legte demnach die Ketten ab, samt dem Oberrock, und begab sich in das Grab, gleichsam wie einer, der sich sonst schlafen legen will, sprechende: »Ach großer Gott, nun nimm wieder hin die Seele, die du mir gegeben, Herr, in deine Hände befehl ich meinen Geist«, etc. Hierauf beschloß er seine Lippen und Augen sänftiglich, ich aber stund da wie ein Stockfisch, und meinte nicht, daß seine liebe Seel den Leib gar verlassen haben sollte, dieweil ich ihn öfters in dergleichen Verzuckungen gesehen hatte.

Ich verharrete, wie mein Gewohnheit in dergleichen Begebenheiten war, etliche Stund neben dem Grab im Gebet, als sich aber mein allerliebster Einsiedel nicht mehr aufrichten wollte, stiege ich zu ihm ins Grab hinunder, und fieng ihn an zu schüttlen, zu küssen und zu liebeln, aber da war kein Leben mehr, weil der grimmige ohnerbittliche Tod den armen Simplicium seiner holden Beiwohnung beraubt hatte; ich begosse, oder besser zu sagen, ich balsamierte den entseelten Körper mit meinen Zähren, und nachdem ich lang mit jämmerlichem Geschrei hin und her geloffen, fienge ich an, ihn mit mehr Seufzen als Schaufeln voller Grund zuzuscharren, und wann ich kaum sein Angesicht bedeckt hatte, stiege ich wieder hinunder, entblößte es wieder, damit ichs noch einmal sehen und küssen möchte; solches trieb ich den ganzen Trag, bis ich fertig worden, und auf diese Weis die funeralia, exequias und luctus gladiatorios allein geendet, weil ohne das weder Bahr, Sarch, Decken, Liechter, Totenträger noch Geleitsleut, und auch kein Klerisei vorhanden gewest, die den Toten besungen hätte.

Das 13. Kapitel

Simplicius lässt sich wie ein Rohr im Weiher umtreiben.

Aber etlich Tag nach des Einsiedels Ableiben verfügte ich mich zu obgemeldtem Pfarrern und offenbarte ihm meines Herrn Tod, begehrte benebens Rat von ihm, wie ich mich bei so gestalter Sache verhalten sollte? Unangesehen er mir nun stark widerraten, länger im Wald zu verbleiben, so bin ich jedoch dapfer in meines Vorgängers Fußstapfen getretten, maßen ich den ganzen Sommer hindurch tät, was ein frommer Monachus tun soll. Aber gleich wie die Zeit alles ändert, also ringert sie auch nach und nach das Leid, so ich um meinen Einsiedel trug, und die äußerliche scharfe Winterskält leschte die innerliche Hitz meines steifen Vorsatzes zugleich aus, je mehr ich anfieng zu wanken, je träger wurde ich in meinem Gebet, weil ich, anstatt göttliche und himmlische Ding zu betrachten, mich die Begierde, die Welt auch zu beschauen, überherrschen ließe, und als ich dergestalt nichts nutz würde, im Wald länger gutzutun, gedachte ich wieder zu gedachtem Pfarrer zu gehen, zu vernehmen, ob er mir noch wie zuvor aus dem Wald raten wollte? Zu solchem End machte ich mich seinem Dorf zu, und als ich hinkam, fande ichs in voller Flamm stehen, dann es eben ein Partei Reuter ausgeplündert, angezündet, teils Bauren niedergemacht, viel verjagt, und etliche gefangen hatten, darunter auch der Pfarrer selbst war. Ach Gott! wie ist das menschliche Leben so viel Mühe und Widerwärtigkeit, kaum hat ein Unglück aufgehört, so stecken

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