Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 182)
dem Tax, wenn er meine Sach beschleunigte, mit einer guten Verehrung begegnen. Weil er dann hoffte, es würde an mir etwas zu fischen sein, nahm er mich gutwillig an und dingte mich auch in die Kost; darauf gienge er andern Tags mit mir zu denjenigen Herren, welche die Fallimentssachen zu erörtern haben, gab vidimierte Kopei von des Kaufmanns Handschrift ein und legte das Original vor, worauf wir zur Antwort bekamen, daß wir uns bis zu gänzlicher Erörterung der Sach patientieren müßten, weil die Sachen, davon die Handschrift sage, nicht alle vorhanden wären.
Also versahe ich mich des Müßiggangs wieder auf ein Zeitlang, bis ich sehen wollte, wie es in großen Städten hergehet; mein Kostherr war, wie gehört, ein Notarius und Prokurator, daneben hatte er etwan ein halb Dutzend Kostgänger und hielte stets acht Pferd auf der Streu, welche er den Reisenden ums Geld hinzuleihen pflegte; dabei hatte er einen teutschen und einen welschen Knecht, die sich beides, zum Fahren und Reuten gebrauchen ließen und der Pferd warteten, mit welcher drei- oder vierthalbfachen Handierung er nicht allein seine Nahrung reichlich gewann, sondern auch ohn Zweifel trefflich vorschlug, dann weil keine Juden in selbige Stadt kommen dürfen, konnte er mit allerlei Sachen desto besser wuchern.
Ich lernete viel in der Zeit die ich bei ihm war, vornehmlich aber alle Krankheiten kennen, so die größte Kunst an einem Doctor Medicinae ist, dann man sagt, wenn man eine Krankheit recht erkenne, so sei dem Patienten schon halb geholfen. Daß ich nun solche Wissenschaft begriffe, daran war mein Wirt Ursach, denn von seiner Person fienge ich an, auch auf andere und deren Komplexion zu sehen. Da fand ich manchen todkrank, der seine Krankheit oft selbst nit wußte und auch von andern Menschen, ja von den Doctoribus selbst, vor einen Gesunden gehalten wurde. Ich fande Leut, die waren vor Zorn krank, und wenn sie diese Krankheit anstieß, so verstellten sie die Gesichter wie die Teufel, brülleten wie die Löwen, kratzten wie die Katzen, schlugen um sich wie die Bären, bissen drein wie die Hund, und damit sie sich ärger stellen möchten als die rasende Tier, warfen sie auch mit allem das sie in die Hände kriegten, um sich wie die Narren. Man sagt, diese Krankheit komme von der Gall her, aber ich glaube, daß sie ihren Ursprung daher habe, wenn ein Narr hoffärtig seie; derhalben wenn du einen Zornigen rasen hörest, sonderlich über ein gering Ding, so halt kecklich davor, daß er mehr stolz als klug seie. Aus dieser Krankheit folget unzählich viel Unglück, sowohl dem Kranken selbst als andern; dem Kranken zwar endlich die Lähme, Gicht und ein frühzeitiger, wo nicht gar ewiger Tod! Und kann man diese Kranken, ob sie schon gefährlich krank sein, mit gutem Gewissen keine Patienten nennen, weil ihnen die Patienz am allermeisten mangelt. Etliche sahe ich am Neid daniederliegen, von welchen man sagt, daß sie ihr eigen Herz fressen, weil sie immer so bleich und traurig dahertretten. Diese Krankheit halte ich vor die allergefährlichste, weil sie vom Teufel ihren Ursprung hat, wiewohl