Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 192)

die französische Lieder, solche auswendig, und die Aussprach recht zu lernen, welche mir zugleich verteutscht wurden, damit ich mich mit den Gebärden danach richten könnte; solches kam mich gar nicht schwer an, also daß ichs eher konnte, als sichs jemand versahe, und zwar dergestalt, wenn man mich singen hörte (maßen mir Monsigneur Canard das Lob gab), daß der tausende geschworen hätte, ich wäre ein geborner Franzos. Und da wir die Comoedia zu probieren das erstemal zusammenkamen, wußte ich mich so kläglich mit meinen Liedern, Melodeien und Gebärden zu stellen, daß sie alle glaubten, ich hätte des Orphei Person mehr agiert, als den ich damals präsentieren und mich um meine Euridice so übel geheben mußte. Ich hab die Tag meines Lebens keinen so angenehmen Tag gehabt, als mir derjenige war, an welchem diese Comoedia gespielt wurde: Monsigneur Canard gab mir etwas ein, meine Stimm desto klärer zu machen, und da er meine Schönheit mit Oleo Talci erhöhern und meine halbkrause Haar, die von Schwärze glitzerten, verpudern wollte, fande er, daß er mich nur damit verstellte; ich wurde mit einem Lorbeerkranz bekrönet und in ein antikisch meergrün Kleid angetan, in welchem man mir den ganzen Hals, das Oberteil der Brust, die Arm bis hinder die Elenbogen, und die Kniee von den halben Schenkeln an bis auf die halbe Waden nackend und bloß sehen konnte; um solches schlug ich einen leibfarbendaffeten Mantel, der sich mehr einem Feldzeichen vergliche; in solchem Kleid leffelt ich um meine Euridice, rufte die Venus mit einem schönen Liedlein um Beistand an, und brachte endlich meine Liebste davon; in welchem Actu ich mich trefflich zu stellen und meine Liebste mit Seufzen und spielenden Augen anzublicken wußte. Nachdem ich aber meine Euridicen verloren, zog ich einen ganz schwarzen Habit an, auf die vorige Mode gemacht, aus welchem meine weiße Haut hervorschiene, wie der Schnee; in solchem beklagte ich meine verlorne Gemahlin, und bildete mir die Sach so erbärmlich ein daß mir mitten in meinen traurigen Liedern und Melodeien die Tränen herausrucken, und das Weinen dem Singen den Paß verlegen wollte; doch langte ich mit einer schönen Manier hinaus, bis ich vor Plutonem und Proserpinam in die Hölle kam; denselben stellte ich in einem sehr beweglichen Lied ihre Lieb, die sie beide zusammen trügen, vor Augen, und bate sie, dabei abzunehmen, mit was großem Schmerzen ich und Euridice voneinander geschieden worden wären, bat demnach mit den allerandächtigsten Gebärden, und zwar alles in meine Harfe singend, sie wollten mir solche wieder zukommen lassen; und nachdem ich das Jawort erhalten, bedankte ich mich mit einem fröhlichen Lied gegen ihnen und wußte das Angesicht samt Gebärden und Stimme so fröhlich zu verkehren, daß sich alle anwesende Zuseher darüber verwunderten. Da ich aber meine Euridice wieder ohnversehens verlor, bildet ich mir die größte Gefahr ein, darein je ein Mensch geraten könnte, und wurde davon so bleich, als ob mir ohnmächtig werden wollen; dann weil ich damals allein auf der Schaubühne war und alle Speetatores auf mich sahen, beflisse ich mich meiner Sachen desto eiferiger und

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