Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 208)

und meine Mühe auf den größten Ast, den ich anfänglich vor einen Baum angesehen, zu sitzen kam; derselbe wurde aber von den Strudeln und Wellen dergestalt tribuliert, daß er ohn Unterlaß auf und nieder knappen mußte, und derhalben mein Magen also erschüttert, daß ich Lung und Leber hätte ausspeien mögen. Ich konnte mich kümmerlich darauf halten, weil mir ganz seltsam vor den Augen wurde; ich hätte mich gern wieder ins Wasser gelassen, befand aber wohl, daß ich nit Manns genug wäre, nur den hunderten Teil solcher Arbeit auszustehen, dergleichen ich schon überstritten hatte; mußte derowegen verbleiben und auf ein ungewisse Erlösung hoffen, die mir Gott ungefähr schicken müßte, da ich anderst mit dem Leben davonkommen sollte. Aber mein Gewissen gab mir hierzu einen schlechten Trost, indem es mir vorhielt, daß ich solche gnadenreiche Hülfe nun ein paar Jahr her so liederlich verscherzt; jedoch hoffte ich ein bessers und fieng so andächtig an zu beten, als ob ich in einem Kloster erzogen worden wäre; ich setzte mir vor, inskünftig frömmer zu leben und tät unterschiedliche Gelübde: Ich widersagte dem Soldatenleben und verschwur das Parteigehen auf ewig, schmiß auch meine Patrondäsch samt dem Ranzen von mir, und ließe mich nit anderst an, als ob ich wieder ein Einsiedel werden, meine Sünden büßen, und der Barmherzigkeit Gottes vor meine hoffende Erlösung bis in mein End danken wollte: Und indem ich dergestalt auf dem Ast bei zwei oder drei Stunden lang zwischen Forcht und Hoffnung zugebracht, kam dasjenige Schiff den Rhein herunder, dem ich hätte aufpassen helfen sollen. Ich erhube mein Stimm erbärmlich und schriee um Gottes und des Jüngsten Gerichts willen um Hülf; und nachdem sie unweit von mir vorüberfahren mußten und dahero meine Gefahr und elenden Stand desto eigentlicher sahen, wurde jeder im Schiff zur Barmherzigkeit bewegt, maßen sie gleich ans Land fuhren, sich zu unterreden, wie mir möchte zu helfen sein.

Weil denn wegen der vielen Würbel, die es rund um mich herum gabe und von den Wurzeln und Ästen des Baums verursacht wurden, ohne Lebensgefahr weder zu mir zu schwimmen, noch mit großen und kleinen Schiffen zu mir zu fahren war, als erforderte meine Hülf lange Bedenkzeit; wie aber mir unterdessen zumut gewesen, ist leicht zu erachten: Zuletzt schickten sie zween Kerl mit einem Nachen oberhalb meiner in den Fluß, die mir ein Seil zufließen ließen, und das eine End davon bei sich behielten, das ander End aber bracht ich mit großer Mühe zuwegen und band es um meinen Leib so gut ich konnte, daß ich also an demselben, wie ein Fisch an einer Angelschnur, in den Nachen gezogen und auf das Schiff gebracht wurde.

Da ich nun dergestalt dem Tod entronnen, hätte ich billich am Ufer auf die Kniee fallen und der göttlichen Güte vor meine Erlösung danken, auch sonst mein Leben zu bessern einen Anfang machen sollen, wie ich denn solches in meinen höchsten Nöten gelobt und versprochen. Ja hinder sich naus! Denn da man mich fragte, wer ich sei? und wie ich in diese Gefahr geraten wäre? fieng ich

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