Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 220)

andere als arme und geringe Dieb haben henken sehen, welches auch billich ist, weil sie sich dieser vortrefflichen Übung haben unterfangen dürfen, die doch niemanden als herzhaften Gemütern gebührt und vorbehalten ist: Wo hast du jemals eine vornehme Standsperson durch die Justitiam strafen sehen, um daß sie ihr Land zu viel beschwert habe? ja was noch mehr ist, wird doch kein Wucherer gestraft, der diese herrliche Kunst heimlich treibt, und zwar unter dem Deckmantel christlicher Lieb; warum wollte denn ich strafbar sein, der ich solche offentlich, auf gut Altteutsch, ohn einige Bemäntelung und Gleisnerei übe? Mein lieber Simplici, du hast den Machiavellum noch nicht gelesen; ich bin eines recht aufrichtigen Gemüts, und treibe diese Manier zu leben frei offentlich ohne allen Scheu. Ich fechte und wag mein Leben darüber, wie die alte Helden, weiß auch, daß diejenige Handierungen, dabei der so sie treibt, in Gefahr stehen muß, zugelassen sind; weil ich denn mein Leben in Gefahr setze, so folgt unwidersprechlich, daß mirs billich und erlaubt sei, diese Kunst zu üben.«

Hierauf antwortet ich: »Gesetzt, Rauben und Stehlen sei dir erlaubt oder nicht, so weiß ich gleichwohl, daß es wider das Gesetz der Natur ist, das da nicht will, daß einer einem andern tun solle, das er nicht will, daß es ihm geschehe; so ist solche Unbilligkeit auch wider die weltliche Gesetz, welche befehlen, daß die Dieb gehenkt, die Räuber geköpft, und die Mörder geradbrecht werden sollen; und letztlich so ist es auch wider Gott, so das Fürnehmste ist, weil er keine Sünde ungestraft läßt.« »Es ist, wie ich vor gesagt« (antwort Olivier) »du bist noch Simplicius, der den Machiavellum noch nit studiert hat; könnte ich aber auf solche Art eine Monarchiam aufrichten, so wollte ich sehen, wer mir alsdenn viel dawider predigte.« Wir hätten noch mehr miteinander disputiert, weil aber der Baur mit dem Essen und Trinken kam, saßen wir zusammen, und stillten unsere Mägen, dessen ich denn trefflich hoch vonnöten hatte.

Das 16. Kapitel

Wie er Herzbruders Weissagung zu seinem Vortel auslegt und deswegen seinen ärgsten Feind liebet.

Unser Essen war weiß Brod und ein gebratener kalter Kalbsschlegel; dabei hatten wir einen guten Trunk Wein, und ein warme Stub. »Gelt Simplici«, sagt Olivier, »hier ists besser, als vor Breisach in den Laufgräben?« Ich sagte: »Das wohl, wenn man solch Leben mit gewisser Sicherheit und bessern Ehren zu genießen hätte.« Darüber lachte er überlaut und sagte: »Sind dann die arme Teufel in den Laufgräben sicherer als wir, die sich all Augenblick eines Ausfalls besorgen müssen? Mein lieber Simplici, ich siehe zwar wohl, daß du deine Narrnkapp abgelegt, hingegen aber deinen närrischen Kopf noch behalten hast, der nicht begreifen kann, was gut oder bös ist; und wenn du ein anderer, als derjenige Simplicius wärest, der nach des alten Herzbruders Wahrsagung meinen Tod rächen solle, so wollte ich dich bekennen lernen, daß ich ein edler Leben führe, als ein Freiherr.« Ich gedachte: was will das werden, du mußt ander Wort hervorsuchen, als bisher, sonst möcht dich dieser Unmensch, so jetzt den Bauren fein zu

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