Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 227)

mein Präzeptor wehrte mir das Fressen und Saufen auch nicht, weil er selbsten gern mitmachte. Es währte dieses herrliche Leben anderthalb Jahr, ehe es mein Vatter erfuhr, welches ihn sein Faktor zu Lüttich, bei dem wir auch anfangs zu Kost giengen, berichtet; der bekam hingegen Befelch, auf uns genauer Achtung zu geben, den Präzeptorn abzuschaffen, mir den Zügel fürterhin nicht mehr so lang zu lassen, und mich ferner mit Geldgeben genauer zu halten. Solches verdroß uns alle beide, und obschon der Präzeptor geurlaubt wurde, so stacken wir jedoch ein als den andern Weg Tag und Nacht beieinander; demnach wir aber nit mehr wie hiebevor spendieren konnten, geselleten wir uns zu einer Bursch, die den Leuten des Nachts auf der Gassen die Mäntel abzwacken, oder sie gar in der Maas ersäuften; was wir dann solchergestalt mit höchster Gefahr eroberten, verschlemmten wir mit unsern Huren, und ließen das Studieren beinahe ganz unterwegen.

Als wir nun einsmals, unserer Gewohnheit nach, bei der Nacht herumschlingelten, den Studenten ihre Mäntel hinwegzuvulpiniern, wurden wir überwunden, mein Präzeptor erstochen, und ich neben andern fünfen, die rechte Spitzbuben waren, erdappt und eingezogen: Als wir nun den folgenden Tag examiniert wurden und ich meines Vattern Faktor nennete, der ein ansehenlicher Mann war, wurde derselbe beschickt, meinetwegen befragt, und ich auf seine Verbürgung losgelassen, doch daß ich bis auf weitern Bescheid in seinem Haus im Arrest verbleiben sollte; indessen wurde mein Präzeptor begraben, jene fünf als Spitzbuben, Räuber und Mörder gestraft, mein Vatter aber berichtet, wie mein Handel stünde; der kam eiligst selbst auf Lüttich, richtete meine Sach mit Geld aus, hielte mir eine scharfe Predigt, und verwiese mir, was ich ihm vor Kreuz und Unglück machte, item daß sich meine Mutter stelle, als ob sie wegen meines Übelverhaltens verzweifeln wollte; bedrohete mich auch, dafern ich mich nit besserte, daß er mich enterben und vorn Teufel hinwegjagen wollte. Ich versprach Besserung, und ritte mit ihm nach Haus; und also hat mein Studiern ein End genommen.«

Das 20. Kapitel

Heimkunft und Abschied des ehrbaren Studiosi, und wie er im Krieg seine Beförderung gesucht.

»Da mich mein Vatter heimbrachte, befand er, daß ich in Grund verderbt wäre; ich war kein ehrbarer Domine worden, als er wohl gehofft hatte, sondern ein Disputierer und Schnarcher, der sich einbildete, er verstehe trefflich viel! Ich war kaum ein wenig daheim erwarmt, als er zu mir sagte: ›Höre Olivier, ich siehe deine Eselsohren je länger je mehr herfürragen, du bist ein unnütze Last der Erden, ein Schlingel, der nirgends zu mehr taug! ein Handwerk zu lernen bist du zu groß; einem Herrn zu dienen, bist du zu flegelhaftig, und meine Handierung zu begreifen und zu treiben, bist du nichts nutz. Ach was hab ich doch mit meinem großen Kosten, den ich an dich gewendet, ausgericht? Ich hab gehofft, Freud an dir zu erleben und dich zum Mann zu machen; so hab ich dich hingegen jetzt aus des Henkers Händen kaufen müssen: Pfui der Schand! Das beste wirds sein, daß ich dich in eine Kelmüßmühl tue und Miseriam cum aceto

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