Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 235)
weil ich die Gutsch aufgehalten, und ein Ursach gewesen, daß der Gutscher so erbärmlich ums Leben kommen, und beide Weibsbilder und unschuldige Kinder in Keller versperrt worden, worinnen sie vielleicht, wie dieser Jud, auch sterben und verderben müßten; bald wollte ich mich meiner Unschuld getrösten, weil ich wider Willen angehalten würde, aber mein Gewissen hielt mir vor, ich hätte vorlängsten mit meinen andern begangenen bösen Stücken verdient, daß ich in Gesellschaft dieses Erzmörders in die Händ der Justiz gerate, und meinen billichen Lohn empfange, und vielleicht hätte der gerechte Gott versehen, daß ich solchergestalt gestraft werden sollen: Zuletzt fienge ich an ein bessers zu hoffen, und bat die Güte Gottes, daß sie mich aus diesem Stand erretten wollte, und als mich so eine Andacht ankam, sagte ich zu mir selber: »Du Narr, du bist ja nicht eingesperrt oder angebunden, die ganze weite Welt steht dir ja offen; hast du jetzt nit Pferd genug zu deiner Flucht zu greifen? oder da du nicht reuten wilt, so sein deine Füße ja schnell genug, dich davonzutragen.« Indem ich mich nun selbst so martert und quälte und doch nichts entschließen konnte, kam Olivier mit unserm Bauren daher, der führte uns mit den Pferden auf einen Hof, da wir fütterten und einer um den andern ein paar Stunden schlieffen; nach Mitternacht ritten wir weiters und kamen gegen Mittag an die äußerste Grenzen der Schweizer, allwo Olivier wohl bekannt war und uns staatlich auftragen ließe, und dieweil wir uns lustig machten, schickte der Wirt nach zweien Juden, die uns die Pferd gleichsam nur um halb Geld abhandelten: Es war alles so nett und just bestellt, daß es wenig Wortwechselns brauchte; der Juden größte Frag war, ob die Pferd kaiserisch oder schwedisch gewesen? und als sie vernahmen, daß sie von den Weimarischen herkämen, sagten sie: »So müssen wir solche nicht nach Basel, sondern in das Schwabenland zu den Bayrischen reuten.« Über welche große Kundschaft und Verträulichkeit ich mich verwundern mußte.
Wir bankettierten edelmännisch, und ich ließe mir die gute Waldforellen und köstliche Krebs daselbst wohlschmecken; wie es nun Abend wurde, so machten wir uns wieder auf den Weg, hatten unsern Bauren mit Gebratens und andern Viktualien wie einen Esel beladen, damit kamen wir den andern Tag auf einen einzeln Baurenhof, allwo wir freundlich bewillkommt und aufgenommen wurden und uns wegen ungestümmen Wetters ein paar Tag aufhielten; folgends kamen wir durch lauter Wald und Abweg wieder in eben dasjenige Häuslein, dahin mich Olivier anfänglich führte, als er mich zu sich bekam.
Das 24. Kapitel
Olivier beißt ins Gras und nimmt noch ihrer sechs mit sich.
Wie wir nun so dasaßen, unserer Leiber zu pflegen und auszuruhen, schickte Olivier den Bauren aus, Essenspeis samt etwas von Kraut und Lot einzukaufen; als selbiger hinweg, zoge er seinen Rock aus und sagte zu mir: »Bruder, ich mag das Teufelsgeld nit mehr allein so herumschleppen«, band demnach ein paar Würste oder Wülst, die er auf bloßem Leib trug, herunder, warf sie auf den Tisch, und sagte ferner: »Du wirst dich hiemit bemühen müssen, bis