Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 239)
wird, wovon alle andere Klingen entzweispringen, und die beherzteste Feinde und Löwengemüter wie forchtsame Hasen entlaufen müssen. Nachdem er mich nun entließe, und befohlen, einen Paß vor mich zu schreiben, gienge ich den nächsten Weg ins Wirtshaus, und wußte nit, ob ich am ersten schlafen oder essen sollte? denn es war mir beides nötig; doch wollt ich zuvor meinen Magen stillen, ließe mir derhalben etwas zu essen und einen Trunk langen, und machte Gedanken, wie ich meine Sachen anstellen möchte, daß ich mit meinem Geld sicher nach L. zu meinem Weib kommen möchte, denn ich hatte so wenig im Sinn zu meinem Regiment zu gehen, als den Hals abzufallen.
Indem ich nun so spekulierte, hinkte ein Kerl in die Stub, an einem Stecken in der Hand, der hatte einen verbundenen Kopf, einen Arm in der Schlinge, und so elende Kleider an, daß ich ihm kein Keller darum geben hätte; sobald ihn der Hausknecht sahe, wollte er ihn austreiben, weil er übel stunke und so voll Läus kroche, daß man die ganze Schwabenhaid damit besetzen könnte; er aber bat, man wollte ihm doch um Gottes willen zulassen, sich nur ein wenig zu wärmen, so aber nichts half; demnach ich mich aber seiner erbarmte und vor ihn bat, wurde er kümmerlich zum Ofen gelassen: Er sahe mir, wie mich dünkte, mit begierigem Appetit und großer Andacht zu, wie ich draufhiebe, und ließ etliche Seufzer laufen, und als der Hausknecht gieng, mir ein Stück Gebratens zu holen, gieng er gegen mir zum Tisch zu und reichte ein irden Pfennighäfelein in der Hand dar, als ich mir wohl einbilden konnte, warum er käme? nahm derhalben die Kanne und goß ihme seinen Hafen voll, ehe er hiesche. »Ach Freund« sagte er, »um Herzbruders willen gebt mir auch zu essen!« Da er solches sagte, gieng mirs durchs Herz, und befand, daß es Herzbruder selbsten war; ich wäre beinahe in Ohnmacht gesunken, da ich ihn in einem so elenden Stand sahe, doch erhielt ich mich, fiel ihm um den Hals, und setzte ihn zu mir, da uns denn beiden, mir aus Mitleiden und ihm aus Freud, die Augen übergiengen.
Das 26. Kapitel
Ist das letzte in diesem vierten Buch, weil keines mehr hernach folget.
Unser unversehene Zusammenkunft machte, daß wir fast weder essen noch trinken konnten, nur fragte einer den andern, wie es ihm ergangen, sint wir das letztemal beisamm gewesen; dieweil aber der Wirt und Hausknecht stets ab- und zugieng, konnten wir einander nichts Verträulichs erzählen; der Wirt wunderte, daß ich ein so lausigen Kerl bei mir litte, ich aber sagte, solches sei im Krieg unter rechtschaffenen Soldaten, die Kameraden wären, der Brauch. Da ich auch verstunde, daß sich Herzbruder bisher im Spital aufgehalten, vom Almosen sich ernährt, und seine Wunden liederlich verbunden worden, dingte ich dem Wirt ein sonderlich Stüblein ab, legte Herzbrudern in ein Bett, und ließ ihme den besten Wundarzt kommen, den ich haben konnte, wie auch einen Schneider und eine Näherin, ihn zu kleiden und den Läusen aus den Zähnen zu ziehen; ich hatte