Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 244)
Stadt, als wollten wir nach Rottweil, wandten uns aber kurz durch Nebenweg und kamen noch dieselbige Nacht über die schweizerische Grenze und den folgenden Morgen in ein Dorf, allda wir uns mit schwarzen langen Röcken, Pilgerstäben und Rosenkränzen mondierten und den Botten mit guter Bezahlung wieder zurückschickten.
Das Land kame mir so fremd vor gegen andern teutschen Ländern, als wenn ich in Brasilia oder in China gewesen wäre; da sahe ich die Leute in dem Frieden handlen und wandlen, die Ställe stunden voll Viehe, die Baurenhöf lieffen voll Hühner, Gäns und Enten, die Straßen wurden sicher von den Reisenden gebraucht, die Wirtshäuser saßen voll Leute, die sich lustig machten; da war ganz und kein Feind, keine Sorg vor der Angst, sein Gut, Leib noch Leben zu verlieren; ein jeder lebte sicher unter seinem Weinstock und Feigenbaum, und zwar gegen andern teutschen Ländern zu rechnen in lauter Wollust und Freud, also daß ich dieses Land vor ein irdisch Paradies hielte, wiewohln es von Art rauch genug zu sein schiene. Das machte, daß ich auf dem ganzen Weg nur hin und her gaffte, wenn hingegen Herzbruder an seinem Rosenkranz betete, deswegen ich manchen Filz bekam, dann er wollte haben, ich sollte, wie er, an einem Stück beten, welches ich aber nicht gewohnen konnte.
Zu Zürch kam er mir recht hinder die Brief, und dahero sagte er mir die Wahrheit auch am trocknesten heraus, denn als wir zu Schaffhausen (allwo mir die Füß von den Erbsen sehr weh täten) die vorig Nacht geherbergt, und ich mich den künftigen Tag wieder auf den Erbsen zu gehen förchtete, ließ ich sie kochen und täts wieder in die Schuh; deswegen ich dann wohl zu Fuß nach Zürch gelangte, er aber sich gar übel gehube und zu mir sagte: »Bruder, du hast große Gnad von Gott, daß du unangesehen der Erbsen in den Schuhen dennoch so wohl fortkommen kannst.« »Ja«, sagte ich, »liebster Herzbruder, ich hab sie gekocht, sonst hätte ich so weit nit darauf gehen können«. »Ach daß Gott erbarm«, antwortet er, »was hast du getan? du hättest sie lieber gar aus den Schuhen gelassen, wenn du nur dein Gespött damit treiben wilt; ich muß sorgen, daß Gott dich und mich zugleich strafe; halte mir nichts vor ungut Bruder, wenn ich dir aus brüderlicher Liebe teutsch heraussage, wie mirs ums Herz ist; nämlich dies, daß ich besorge, wofern du dich nit anderst gegen Gott schickest, es stehe deine Seligkeit in höchster Gefahr; ich versichere dich, daß ich keinen Menschen mehr liebe, als eben dich, leugne aber auch nit, daß, wofern du dich nit bessern würdest, ich mir ein Gewissen machen muß, solche Liebe zu kontinuieren.« Ich verstummte vor Schrecken, daß ich mich schier nit wieder erholen konnte, zuletzt bekannte ich ihm frei, daß ich die Erbsen nit aus Andacht, sondern allein ihm zu Gefallen in die Schuh getan, damit er mich mit ihm auf die Reis genommen hätte. »Ach Bruder« antwortet er, »ich siehe, daß du weit vom Weg der Seligkeit bist, wenn gleich die Erbsen nit wären,