Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 30)
Herberg, mein Zehrung war nichts anders als Buchen, die ich unterwegs auflase; den dritten Tag aber kame ich ohnweit Gelnhausen auf ein ziemlich eben Feld, da genosse ich gleichsam eines hochzeitlichen Mahls, dann es lag überall voller Garben auf dem Feld, welche die Bauren, weil sie nach der namhaften Schlacht vor Nördlingen verjagt worden, zu meinem Glück nicht einführen können; in deren einer macht ich mein Nachtläger, weil es grausam kalt war, und sättigte mich mit ausgeriebenen Weizen, dergleichen ich lang nicht genossen.
Das 19. Kapitel
Wie Hanau von Simplicio, und Simplicius von Hanau eingenommen wird.
Da es taget, füttert ich mich wieder mit Weizen, begab mich zum nächsten auf Gelnhausen, und fande daselbst die Tor offen, welche zum Teil verbrennet, und jedoch noch halber mit Mist verschanzt waren: Ich gieng hinein, konnte aber keines lebendigen Menschen gewahr werden, hingegen lagen die Gassen hin und her mit Toten überstreut, deren etliche ganz, etliche aber bis aufs Hemd ausgezogen waren. Dieser jämmerliche Anblick war mir ein erschröcklich Spektakul, maßen ihm jedermann selbsten wohl einbilden kann; meine Einfalt konnte nicht ersinnen, was vor ein Unglück das Ort in einen solchen Stand gesetzt haben müßte. Ich erfuhre aber ohnlängst hernach, daß die kaiserliche Völker etliche Weimarische daselbst überrumpelt. Kaum zween Steinwürf weit kam ich in die Stadt, als ich mich derselben schon satt gesehen hatte, derowegen kehrete ich wieder um, gieng durch die Au neben hin, und kam auf ein gänge Landstraß, die mich vor die herrliche Festung Hanau trug: Sobald ich deren erste Wacht ersahe, wollte ich durchgehen, aber mir kamen gleich zween Musketier auf den Leib, die mich anpackten, und in ihre Corps de Guarde führten.
Ich muß dem Leser nur auch zuvor meinen damaligen visierlichen Aufzug erzählen, ehe daß ich ihm sage, wie mirs weiter gieng, dann meine Kleidung und Gebärden waren durchaus seltsam, verwunderlich und widerwärtig, so, daß mich auch der Gouverneur abmalen lassen: Erstlich waren meine Haar in dritthalb Jahren weder auf griechisch, teutsch noch französisch abgeschnitten, gekampelt noch gekräuselt oder gebüfft worden, sondern sie stunden in ihrer natürlichen Verwirrung noch, mit mehr als jährigem Staub, anstatt des Haarplunders, Puders oder Pulvers (wie man das Narren- oder Närrinwerk nennet) durchstreuet, so zierlich auf meinem Kopf, daß ich darunter herfürsahe mit meinem bleichen Angesicht wie ein Schleiereul, die knappen will, oder sonst auf eine Maus spannet. Und weil ich allzeit barhäuptig zu gehen pflegte, meine Haar aber von Natur kraus waren, hatte es das Ansehen, als wenn ich ein türkischen Bund aufgehabt hätte; der übrige Habit stimmte mit der Hauptzierd überein, dann ich hatte meines Einsiedlers Rock an, wann ich denselben anders noch einen Rock nennen darf, dieweil das erste Gewand, daraus er geschnitten worden, gänzlich verschwunden, und nichts mehr davon übrig gewesen, als die bloße Form, welche mehr als tausend Stücklein allerhand färbiges zusammengesetztes, oder durch vielfältiges Flicken aneinandergenähetes Tuch noch vor Augen stellte. Über diesem abgangenem, und doch zu viel Malen verbessertem Rock, trug ich das härin Hemd, anstatt eines Schulderkleids (weil ich die Ärmel anstatt eines Paar