Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 4)

ich kennete weder Gott noch Menschen, weder Himmel noch Höll, weder Engel noch Teufel, und wußte weder Gutes noch Böses zu unterscheiden: dahero ohnschwer zu gedenken, daß ich vermittelst solcher Theologiae wie unsere erste Eltern im Paradies gelebt, die in ihrer Unschuld von Krankheit, Tod und Sterben, weniger von der Auferstehung nichts gewußt. O edles Leben! (du mögst wohl Eselsleben sagen) in welchem man sich auch nichts um die Medizin bekümmert. Eben auf diesen Schlag kann man mein Erfahrenheit in dem studio legum und allen andern Künsten und Wissenschaften, soviel in der Welt sein, auch verstehen. Ja ich war so perfekt und vollkommen in der Unwissenheit daß mir unmöglich war zu wissen, daß ich so gar nichts wußte. Ich sage noch einmal: o edles Leben, das ich damals führete! Aber mein Knan wollte mich solche Glückseligkeit nicht länger genießen lassen, sondern schätzte billich sein, daß ich meiner adelichen Geburt gemäß auch adelich tun und leben sollte, dero wegen fienge er an, mich zu höhern Dingen anzuziehen und mir schwerere Lectiones aufzugeben.

Das 2. Kapitel

Beschreibet die erste Staffel der Hoheit, welche Simplicius gestiegen, samt dem Lob der Hirten, und angehängter trefflichen Instruktion.

Er begabte mich mit der herrlichsten Dignität, so sich nicht allein bei seiner Hofhaltung, sondern auch in der ganzen Welt befande, nämlich mit dem Hirtenamt. Er vertraut mir erstlich seine Säu, zweitens seine Ziegen, und zuletzt seine ganze Herd Schaf, daß ich selbige hüten, weiden, und vermittelst meiner Sackpfeifen (welcher Klang ohnedas, wie Strabo schreibet, die Schaf und Lämmer in Arabia fett macht) vor dem Wolf beschützen sollte. Damals gleichete ich wohl dem David, außer daß jener, anstatt der Sackpfeife, nur eine Harpfe hatte, welches kein schlimmer Anfang, sondern ein gut Omen für mich war, daß ich noch mit der Zeit, wann ich anders das Glück dazu hätte, ein weltberühmter Mann werden sollte; dann von Anbeginn der Welt seind jeweils hohe Personen Hirten gewesen, wie wir dann vom Abel, Abraham, Isaak, Jakob, seinen Söhnen und Moyse selbst in der H. Schrift lesen, welcher zuvor seines Schwähers Schaf hüten mußte, ehe er Heerführer und Legislator über 600 000 Mann in Israel ward. Ja, möchte mir jemand vorwerfen, das waren heilige gottergebene Menschen, und keine Spesserter Baurenbuben, die von Gott nichts wußten; ich muß gestehen, aber was hat meine damalige Unschuld dessen zu entgelten? Bei den alten Heiden fande man sowohl solche Exempla als bei dem auserwählten Volk Gottes: Unter den Römern seind vornehme Geschlechter gewesen, so sich ohn Zweifel Bubulcos, Statilios, Pomponios, Vitulos, Vitellios, Annios, Capros und dergleichen genennet, weil sie mit dergleichen Viehe umgangen, und solches auch vielleicht gehütet; zwar Romulus und Remus sein selbst Hirten gewest; Spartacus, vor welchem sich die ganze Römische Macht so hoch entsetzet, war ein Hirt. Was? Hirten sind gewesen (wie Lucianus in seinem Dialogo Helenae bezeuget) Paris, Priami des Königs Sohn, und Anchises, des trojanischen Fürsten Aeneae Vatter, der schöne Eudimion, um welchen die keusche Luna selbst gebuhlet, war auch ein Hirt, item der greuliche Polyphemus, ja die Götter selbst (wie Phornutus

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