Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 305)

meine Wohnung bekannt wurde, kam kein Waldgenoß mehr in Wald, der mir nit etwas von Essenspeisen mit sich gebracht hätte; diese rühmten meine Heiligkeit und ungewöhnliches einsiedlerisches Leben auch anderwärts, also daß auch die etwas weiters wohnende Leut, entweder aus Fürwitz oder Andacht getrieben, mit großer Mühe zu mir kamen und mich mit ihren Verehrungen besuchten; da hatte ich an Brot, Butter, Salz, Käs, Speck, Eiern und dergleichen nit allein keinen Mangel, sondern auch einen Überfluß; wurde aber darum nit desto gottseliger, sondern je länger je kälter, saumseliger und schlimmer, also daß man mich beinahe einen Heuchler oder heiligen Schalk hätt nennen mögen; doch underließe ich nicht, die Tugenden und Laster zu betrachten, und zu gedenken was mir zu tun sein möchte, wann ich in Himmel wollte; es geschahe aber alles unordenlich, ohne rechtschaffenen Rat und einen festen Vorsatz, hierzu einen Ernst anzulegen, welchen mein Stand und dessen Verbesserung von mir erforderte.

Das 2. Kapitel

Wie sich Luzifer verhielte, als er frische Zeitung vom geschlossnen teutschen Frieden kriegte.

Wir lesen, daß vorzeiten bei denen Gott ergebenen heiligen Gliedern der christlichen Kirchen die Mortifikation oder Abtötung des Fleisches vornehmlich in Beten, Fasten und Wachen bestanden; gleichwie nun aber ich mich der ersten beiden Stück wenig befliesse, also ließe ich mich auch die süße Betöberung des Schlafs stracks überwinden, sooft mir nur zugemutet ward, solche Schuldigkeit (das wir dann mit allen Tieren gemein haben) der Natur abzulegen; einmals faulenzte ich unter einer Tannen im Schatten und gab meinen unnützen Gedanken Gehör, die mich fragten, ob der Geiz oder die Verschwendung das größte oder ärgste Laster seie? ich habe gesagt meinen unnützen Gedanken! und das sag ich noch! dann, Lieber, was hatte ich mich um die Verschwendung zu bekümmern, da ich doch nichts zu verschwenden vermochte? und was gieng mich der Geiz an, indem mein Stand, den ich mir selbst freiwillig erwählet, von mir erfordert, in Armut und Dürftigkeit zu leben? aber o Torheit, ich war dennoch so hart verbeißt, solches zu wissen, daß ich mir dieselbige Gedanken nicht mehr ausschlagen konnte, sondern darüber einschlummerte! womit einer wachend handiert, damit pflegt einer gemeiniglich auch traumend vexiert zu werden, und solches widerfuhr mir damals auch! dann sobald ich die Augen zugetan hatte, sahe ich in einer tiefen abscheulichen Klingen den höllischen Großfürsten Luziferum zwar auf seinem Regimentsstuhl sitzen, aber mit einer Ketten angebunden, daß er seines Gefallens in der Welt nicht wütten könnte; die viele der höllischen Geister, mit denen er umgeben, begnügten durch ihr fleißigs Aufwarten die Größe seiner höllischen Macht; als ich nun dieses Hofgesind betrachtete, kam ohnversehens ein schneller Postillion durch die Luft geflogen, der ließe sich vorm Luzifer nieder und sagte: »O großer Fürst, der geschlossene teutsche Frieden hat beinahe ganz Europam wiederum in Ruhe gesetzt; das Gloria in excelsis und Te Deum Laudamus erschallet allerorten gen Himmel, und jedermann wird sich befleißen, unter seinem Weinstock und Feigenbaum hinforder Gott zu dienen.« Sobald Luzifer diese Zeitung kriegte, erschrak er anfänglich ja so sehr, als heftig er den Menschen solche Glückseligkeit mißgönnet;

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