Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 362)
herausbringen konnte; also daß ich mir einbildete, er müßte durch Schröcken und Gestank seines Verstands beraubt worden sein; wie er aber mit solcher Weis nit nachlassen wollte, und mich immerhin um Verzeihung batte, antwortet ich: »Liebster Freund, was soll ich Euch verzeihen, da Ihr mich doch Euer Lebtag niemal beleidigt habt? sagt mir doch nur, wie es Euch zu helfen sei?« »Verzeihung«, sagte er, »bitte ich, dann ich hab wider Gott, wider Euch und wider mich selbst gesündigt!« und damit fienge er sein vorige Klag wieder an, kontinuierte sie auch so lang, bis ich sagte, ich wüßte nichts Böses von ihm, und dafern er gleichwohl etwas begangen, deswegen er sich ein Gewissen machen möchte, so wollte ichs ihm nicht allein soviel es mich beträfe, von Grund meines Herzens verziehen und vergeben haben, sonder auch, wann er sich wider Gott vergriffen, neben ihme dessen Barmherzigkeit um Begnädigung anrufen; auf solche Worte faßte er meine Schenkel in seine Arm, küßte meine Knie, und sahe mich so sehnlich und drauf an, daß ich drüber gleichsam erstummete, und nicht wissen und erraten konnte, was es doch immermehr mit dem Kerl vor eine Beschaffenheit haben möchte; demnach ich ihn aber freundlich in die Arme nahm und an meine Brust druckte, mit Bitt mir zu erzählen was ihm anläge und wie ihm zu helfen sein möchte, beichtet er mir alles haarklein heraus, was er mit der vermeinten Abissinerin vor ein Diskurs geführt, und über mich, beides wider Gott, wider die Natur, wider die christliche Liebe, und wider das Gesetz getreuer Freundschaft, die wir einander solemniter geschworen, bei sich selbst beschlossen gehabt hatte; und solches tat er mit solchen Worten und Gebärden, daraus sein inbrünstige Reu und zerknirschtes Herz leicht zu mutmaßen oder abzunehmen war.
Ich tröstete ihn so gut ich immer konnte, und sagte, Gott hätte vielleicht solches zur Warnung über uns verhängt, damit wir sich künftig vor des Teufels Stricken und Versuchungen desto besser vorsehen, und in stetter Gottesfurcht leben sollten; er hätte zwar Ursach, seiner bösen Einwilligung halber Gott herzlich um Verzeihung zu bitten, aber noch ein größere Schuldigkeit seie es, daß er ihme um seine Güte und Barmherzigkeit danke, indem er ihn so vätterlich aus des leidigen Satans Lüst und Fallstrick gerissen, und ihn vor seinem zeitlichen und ewigen Fall behütet hätte; es würde uns vonnöten sein vorsichtiger zu wandlen, als wann wir mitten in der Welt unter dem Volk wohneten; dann sollte einer oder der ander oder wir alle beide fallen, so würde niemand vorhanden sein, der uns wiederum aufhülfe, als der liebe Gott, den wir derowegen desto fleißiger vor Augen haben, und ihne ohn Unterlaß um Hilf und Beistand anflehen müßten.
Von solchen und dergleichen Zusprechen wurde er zwar um etwas getröst, er wollte sich aber nichtsdestoweniger nicht allerdings zufrieden geben, sonder batte aufs demütigste, ich wollte ihm doch wegen seines Verbrechens eine Buß auflegen; damit ich nun sein niedergeschlagenes Gemüt nach Müglichkeit wiederum etwas aufrichten möchte, sagte ich, dieweil er ohnedas ein Zimmermann seie, und seine Axt noch im Vorrat hätte, so