Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 38)

align="center">Das 23. Kapitel

Simplicius wird ein Page, item, wie des Einsiedlers Weib verloren worden.

Der Pfarrer zögerte mich auf in seinem Losament bis 10 Uhr, ehe er mit mir zum Gouverneur gieng, ihm meinen Entschluß zu sagen, damit er bei demselben, weil er ein freie Tafel hielte, zu Mittags ein Gast sein könne; dann es war damals Hanau blockiert und ein solche klemme Zeit bei dem gemeinen Mann, bevorab den geflehnten Leuten in selbiger Festung, daß auch etliche, die sich etwas einbildeten, die angefrorne Rübschälen auf der Gassen, so die Reiche etwan hinwarfen, aufzuheben nit verschmäheten: Es glückte ihm auch so wohl, daß er neben den Gouverneur selbst über der Tafel zu sitzen kam, ich aber wartete auf mit einem Deller in der Hand, wie mich der Hofmeister anwiese; in welches ich mich zu schicken wußte, wie ein Esel ins Schachspiel: Aber der Pfarrer ersetzte allein mit seiner Zung, was die Ungeschicklichkeit meines Leibs nicht vermochte. Er sagte, daß ich in der Wildnus erzogen, niemals bei Leuten gewesen, und dahero wohl vor entschuldigt zu halten, weil ich noch nicht wissen könnte, wie ich mich halten sollte; meine Treu, die ich dem Einsiedel erwiesen, und das harte Leben, so ich bei demselben überstanden, wären verwundernswürdig, und allein wert, nicht allein meine Ungeschicklichkeit zu gedulden, sondern auch mich dem feinsten Edelknaben vor­zuziehen. Weiters erzählte er, daß der Einsiedel alle seine Freud an mir gehabt, weil ich, wie er öfters gesagt, seiner Liebsten von Angesicht so ähnlich seie, und daß er sich oft über meine Beständigkeit und ohnveränderlichen Willen, bei ihm zu bleiben, und sonst noch über viel Tugenden, die er an mir gerühmt, verwundert hätte. In Summa, er konnte nicht genugsam aussprechen, wie mit ernstlicher Inbrünstigkeit er kurz vor seinem Tod mich ihme, Pfarrern, rekommendiert, und bekennet hätte, daß er mich so sehr als sein eigen Kind liebe.

Dieses kützelt mich dermaßen in Ohren, daß mich bedünkte, ich hätte schon Ergötzlichkeit genug vor alles dasjenige empfangen, das ich je bei dem Einsiedel ausgestanden. Der Gouverneur fragte, ob sein sel. Schwager nicht gewußt hätte, daß er derzeit in Hanau kommandiere? »Freilich«, antwortet der Pfarrer, »ich habs ihm selbst gesagt; er hat es aber (zwar mit einem fröhlichen Gesicht und kleinem Lächlen) so kaltsinnig angehört, als ob er niemals keinen Ramsay gekennt hätte, also daß ich mich noch, wenn ich der Sach nachdenke, über dieses Manns Beständigkeit und festen Vorsatz verwundern muß, wie er nämlich übers Herz bringen können, nicht allein der Welt abzusagen, sondern auch seinen besten Freund, den er doch in der Nähe hatte, sogar aus dem Sinn zu schlagen!« Dem Gouverneur, der sonst kein weichherzig Weibergemüt hatte, sondern ein dapferer heroischer Soldat war, stunden die Augen voll Wasser. Er sagte: »Hätte ich gewüßt, daß er noch im Leben, und wo er anzutreten gewest wäre, so wollte ich ihn auch wider seinen Willen haben zu mir holen lassen, damit ich ihm seine Guttaten hätte erwidern können; weil mirs aber das Glück mißgönnet, als will ich an seiner Statt seinen Simplicium versorgen: Ach!« sagte

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