Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 39)
er weiters, »der redliche Cavallier hat wohl Ursach gehabt, seine schwangere Gemahlin zu beklagen, dann sie ist von einer Partei Kaiserlicher Reuter im Nachhauen, und zwar auch im Spessert, gefangen worden. Als ich solches erfahren, und nichts anders gewußt, als mein Schwager seie bei Höchst tot geblieben, habe ich gleich einen Trompeter zum Gegenteil geschickt, meiner Schwester nachzufragen und dieselbe zu ranzionieren, hab aber nicht anders damit ausgerichtet, als daß ich erfahren, gemeldte Partei Reuter sei im Spessert von etlichen Bauren zertrennt, und in solchem Gefecht meine Schwester von ihnen wieder verloren worden, also daß ich noch bis auf diese Stund nicht weiß, wo sie hinkommen.«
Dieses und dergleichen war des Gouverneurs und Pfarrern Tischgespräch, von meinem Einsiedel und seiner Liebsten, welches Paar Ehevolk um soviel desto mehr bedauret wurde, weil sie einander nur ein Jahr gehabt hatten. Aber ich wurde also des Gubernators Page, und ein solcher Kerl, den die Leut, sonderlich die Bauren, wenn ich sie bei meinem Herren anmelden sollte, bereits Herr Jung nenneten, wiewohl man selten einen Jungen siehet, der ein Herr gewesen, aber wohl Herren, die zuvor Jungen waren.
Das 24. Kapitel
Simplicius tadelt die Leut und siehet viel Abgötter in der Welt.
Damals war bei mir nichts Schätzbarliches als ein reines Gewissen und aufrichtig frommes Gemüt zu finden, welches mit der edlen Unschuld und Einfalt begleitet und umgeben war; ich wußte von den Lastern nichts anders, als daß ich sie etwan hören nennen, oder davon gelesen hatte, und wenn ich deren eins würklich begehen sahe, war mirs ein erschröckliche und seltene Sach, weil ich erzogen und gewehnet worden, die Gegenwart Gottes allezeit vor Augen zu haben und aufs ernstlichst nach seinem heiligen Willen zu leben und weil ich denselben wußte, pflegte ich der Menschen Tun und Wesen gegen demselben abzuwägen; in solcher Übung bedünkte mich, ich sähe nichts als lauter Greuel: Herrgott! wie verwundert ich mich anfänglich, wann ich das Gesetz und Evangelium samt den getreuen Warnungen Christi betrachtete, und hingegen derjenigen Werk ansahe, die sich vor seine Jünger und Nachfolger ausgaben; anstatt der aufrichtigen Meinung, die ein jedweder rechtschaffener Christ haben soll, fand ich eitel Heuchelei und sonst so unzählbare Torheiten bei allen Weltmenschen, daß ich auch zweifelte, ob ich Christen vor mir hätte oder nicht? dann ich konnte leichtlich merken, daß männiglich den ernstlichen Willen Gottes wüßte; ich merkte aber hingegen keinen Ernst, denselben zu vollbringen.
Also hatte ich wohl tausenderlei Grillen und seltsame Gedanken in meinem Gemüt und geriet in schwere Anfechtung, wegen des Befelchs Christi, da er spricht: »Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet.« Nichtsdestoweniger kamen mir die Wort Pauli zu Gedächtnus, die er zun Gal. am 5. Kap. schreibt: »Offenbar sind alle Werke des Fleisches, als da sind Ehebruch, Hurerei, Unreinigkeit, Unzucht, Abgötterei, Zauberei, Feindschaft, Hader, Neid, Zorn, Zank, Zweitracht, Rotten, Haß, Mord, Saufen, Fressen und dergleichen, von welchen ich euch habe zuvor gesagt, und sage es noch wie zuvor, daß die solches tun, werden das Reich Gottes nicht ererben!« Da gedachte ich: das tut ja fast jedermann offentlich, warum