Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 44)

Sünd, Schand und Laster rühmen hörete; dann ich vernahm zu unterschiedlichen Zeiten, und zwar täglich, daß sie sagten: »Potz Blut, wie haben wir gestern gesoffen! Ich hab mich in einem Tag wohl dreimal vollgesoffen, und ebenso vielmal gekotzt. Potz Stern, wie haben wir die Bauren, die Schelmen, tribuliert. Potz Strahl, wie haben wir Beuten gemacht. Potz hundert Gift, wie haben wir ein Spaß mit den Weibern und Mägden gehabt.« Item: »Ich hab ihn danieder gehauen, als wenn ihn der Hagel hätte niedergeschlagen. Ich hab ihn geschossen, daß er das Weiß über sich kehrte. Ich hab ihn so artlich über den Dölpel geworfen, daß ihn der Teufel hätte holen mögen. Ich hab ihm den Stein gestoßen, daß er den Hals hätt brechen mögen.« Solche und dergleichen unchristliche Reden erfüllten mir alle Tag die Ohren, und überdas, so hörte und sahe ich auch in Gottes Namen sündigen, welches wohl zu erbarmen ist. Von den Kriegern wurde es am meisten praktiziert, wenn sie nämlich sagten: »Wir wollen in Gottes Namen auf Partei, plündern, mitnemmen, totschießen, niedermachen, angreifen, gefangennemmen, in Brand stecken«, und was ihrer schröcklichen Arbeiten und Verrichtungen mehr sein mögen. Also wagens auch die Wucherer mit dem Verkauf in Gottes Namen, damit sie ihrem teuflischen Geiz nach schinden und schaben mögen. Ich habe zween Mausköpf sehen henken, die wollten einsmals bei Nacht stehlen, und als sie die Leiter angestellt, und der eine in Gottes Namen einsteigen wollte, warf ihn der wachtsame Hausvatter ins Teufels Namen wieder herunter, davon er ein Bein zerbrach und also gefangen, und über etlich Tag hernach samt seinem Kamerad aufgeknüpfet ward. Wann ich nun so etwas höret, sahe und beredet, und wie meine Gewohnheit war, mit der H. Schrift hervorwischte, oder sonst treuherzig abmahnete, so hielten mich die Leut vor einen Narren, ja ich wurde meiner guten Meinung halber so oft ausgelacht, daß ich endlich auch unwillig wurde und mir vorsetzte, gar zu schweigen, welches ich doch aus christlicher Liebe nicht halten konnte. Ich wünschte, daß jedermann bei meinem Einsiedel auferzogen worden wäre, der Meinung, es würde alsdann auch männiglich der Welt Wesen mit Simplicii Augen ansehen, wie ichs damals beschauet. Ich war nicht so witzig, wann lauter Simplicii in der Welt wären, daß man alsdann auch nicht so viel Laster sehen werde. Indessen ists doch gewiß, daß ein Weltmensch, welcher aller Untugenden und Torheiten gewohnt und selbsten mitmacht, im wenigsten nicht empfinden kann, auf was vor einer bösen Sprossen er mit seinen Gefährten wandelt.

Das 26. Kapitel

Ein sonderbarer neuer Brauch, einander Glück zu wünschen und zu bewillkommen.

Als ich nun vermeinte, ich hätte Ursach zu zweifeln, ob ich unter Christen wäre oder nicht, gienge ich zu dem Pfarrer und erzählte alles, was ich gehöret und gesehen, auch was ich vor Gedanken hatte, nämlich daß ich die Leut nur vor Spötter Christi und seines Worts, und vor keine Christen hielte, mit Bitt, er wollte mir doch aus dem Traum helfen, damit ich wisse, worvor ich meine Nebenmenschen halten sollte. Der Pfarrer antwortet: »Freilich sind sie Christen, und

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