Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 45)
wollt ich dir nicht raten, daß du sie anderst nennen solltest.« »Mein Gott!« sagte ich, »wie kanns sein? dann wann ich einem oder dem andern seinen Fehler, den er wider Gott begehet, verweise, so werde ich verspottet und ausgelacht.« »Dessen verwundere dich nicht«, antwortet der Pfarrer, »ich glaube, wenn unsere erste fromme Christen, die zu Christi Zeiten gelebt, ja die Apostel selbst, anjetzo auferstehen und in die Welt kommen sollten, daß sie mit dir ein gleiche Frag tun, und endlich auch so wohl als du von jedermänniglich vor Narren gehalten würden; das, was du bisher siehest und hörest, ist ein gemeine Sach, und nur Kinderspiel gegen demjenigen, das sonsten so heimlich als offentlich und mit Gewalt wider Gott und den Mensehen vorgehet und in der Welt verübet wird; aber laß dich das nicht ärgern, du wirst wenig Christen finden, wie Herr Samuel sel. einer gewesen ist.«
Indem als wir so miteinander redeten, führet man etliche, so vom Gegenteil gefangen waren worden, übern Platz, welches unsern Diskurs zerstöret, weil wir die Gefangene auch beschauten: Da vernahme ich eine Unsinnigkeit, dergleichen ich mir nicht hätte träumen dürfen lassen: Es war aber eine neue Mode einander zu grüßen und zu bewillkommen, dann einer von unserer Garnison, welcher hiebevor dem Kaiser auch gedient hatte, kannte einen von den Gefangenen; zu dem gieng er, gab ihm die Hand, druckt jenem die seinige vor lauter Freud und Treuherzigkeit, und sagte: »Daß dich der Hagel erschlag (altteutsch), lebst du auch noch, Bruder? Potz Fickerment, wie führt uns der Teufel hier zusammen! Ich hab, schlag mich der Donner, vorlängst gemeint, du wärst gehenkt worden!« Darauf antwortet der ander: »Potz Blitz, Bruder! bist dus, oder bist dus nicht? daß dich der Teufel hol, wie bist du hieher kommen? ich hätte mein Lebtag nicht gemeint, daß ich dich wieder antreffen würde, sondern hab gedacht, der Teufel hab dich vorlängst hingeführt.« Und als sie wieder voneinander giengen, sagt einer zum andern, anstatt behüt dich Gott: »Strick zu, Strick zu, morgen kommen wir vielleicht zusammen, dann wollen wir brav miteinander saufen.«
»Ist das nicht ein schöner gottseliger Willkomm?« sagt ich zum Pfarrer, »sind das nicht herrliche christliche Wünsch? haben diese nicht einen heiligen Vorsatz auf den morgenden Tag? wer wollte sie vor Christen erkennen oder ihnen ohne Erstaunen zuhören? wenn sie einander aus christlicher Liebe so zusprechen, wie wirds denn hergehen, wenn sie miteinander zanken? Herr Pfarrer, wenn dies Schäflein Christi sind, Ihr aber dessen bestellter Hirt, so will Euch gebühren, sie auf eine bessere Weid zu führen.« »Ja«, antwort der Pfarrer, »liebes Kind, es gehet bei den gottlosen Soldaten nicht anders her, Gott erbarms! wann ich gleich etwas sagte, so wäre es so viel, als wenn ich den Tauben predigte, und ich hätte nichts anders davon, als dieser gottlosen Bursch gefährlichen Haß.« Ich verwundert mich, schwätzte noch ein Weil mit dem Pfarrer, und gieng dem Gubernator aufzuwarten, dann ich hatte gewisse Zeiten Erlaubnus, die Stadt zu beschauen und zum Pfarrer zu gehen, weil mein Herr von meiner Einfalt Wind hatte und gedachte, solche