Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 94)

schwärmen, sondern er stellete mir einen Hofmeister dar, der mich beobachten, und dem ich hingegen gehorsamen sollte: Dieser war ein Mann nach meinem Herzen, dann er war still, verständig, wohlgelehrt, von guter, aber nicht überflüssiger Konversation, und was das größte gewesen, überaus gottsförchtig, wohlbelesen und voll allerhand Wissenschaften und Künsten; bei ihm mußte ich des Nachts in seiner Zelten schlafen, und bei Tag dorft ich ihm auch nicht aus den Augen; er war eines vornehmen Fürsten Rat und Beamter, zumal auch sehr reich gewesen; weil er aber von den Schwedischen bis in Grund ruiniert worden, zumaln auch sein Weib mit Tod abgangen, und sein einiger Sohn Armut halber nicht mehr studieren konnte, sondern unter der Chursächsischen Armee vor einen Musterschreiber dienete, hielte er sich bei diesem Obristen auf und ließe sich vor einen Stallmeister gebrauchen, um zu verharren, bis die gefährliche Kriegsläuften am Elbstrom sich änderten, und ihme alsdann die Sonne seines vorigen Glücks wieder scheinen möchte.

Das 20. Kapitel

Ist ziemlich lang, und handelt vom Spielen mit Würfeln, und was dem anhängig.

Weil mein Hofmeister mehr alt als jung war, also konnte er auch die ganze Nacht nicht durchgehend schlafen; solches war ein Ursach, daß er mir in der ersten Wochen hinder die Brief kam und austrücklich vernahm, daß ich kein solcher Narr war, wie ich mich stellete: Wie er denn zuvor auch etwas gemerkt und von mir aus meinem Angesicht ein anders geurteilet hatte, weil er sich wohl auf die Physiognomiam verstund. Ich erwachte einsmals um Mitternacht und machte über mein eigen Leben und seltsame Begegnussen allerlei Gedanken, stunde auch auf, und erzählte danksagungsweis alle Guttaten, die mir mein lieber Gott erwiesen, und alle Gefahren, aus welchen er mich errettet; legte mich hernach wieder nieder mit schweren Seufzen, und schlief vollends aus.

Mein Hofmeister hörete alles, tät aber, als wenn er hart schlief, und solches geschahe etliche Nächt nacheinander, also daß er sich genugsam versichert hielte, daß ich mehr Verstand hätte als mancher Betagter, der sich viel einbilde; doch redet er nichts mit mir im Zelt hiervon, weil es zu dinne Wänd hatte und er gewisser Ursachen halber nicht haben wollte, daß noch zurzeit, und ehe er meiner Unschuld versichert wäre, jemand anders diese Geheimnus wüßte. Einsmals gieng ich hinder das Läger spazieren, welches er gern geschehen ließe, damit er Ursach hätte mich zu suchen und also die Gelegenheit bekäme, allein mit mir zu reden: Er fand mich nach Wunsch an einem einsamen Ort, da ich meinen Gedanken Audienz gab, und sagte: »Lieber guter Freund, weil ich dein Bestes zu suchen unterstehe, erfreue ich mich, daß ich hier allein mit dir reden kann; ich weiß, daß du kein Narr bist, wie du dich stellest, zumalen auch in diesem elenden und verächtlichen Stand nicht zu leben begehrest: Wenn dir nun deine Wohlfahrt lieb ist, auch zu mir als einem ehrlichen Mann dein Vertrauen setzen willst, so kannst du mir deiner Sachen Bewandnus erzählen; so will ich hingegen, wo müglich, mit Rat und Tat bedacht sein, wie dir etwan zu helfen

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