Ungekürztes Werk "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 11)
nicht vor, wie gut er ist.
Als er erfuhr, wieviel Euch Recha schuldig:
Was hätt', in diesem Augenblicke, nicht
Er alles Euch getan, gegeben!
TEMPELHERR. Ei!
DAJA. Versucht's und kommt und seht!
TEMPELHERR. Was denn? wie schnell
Ein Augenblick vorüber ist?
DAJA. Hätt' ich,
Wenn er so gut nicht wär', es mir so lange
Bei ihm gefallen lassen? Meint Ihr etwa,
Ich fühle meinen Wert als Christin nicht?
Auch mir ward's vor der Wiege nicht gesungen,
Daß ich nur darum meinem Ehgemahl
Nach Palästina folgen würd', um da
Ein Judenmädchen zu erziehn. Es war
Mein lieber Ehgemahl ein edler Knecht
In Kaiser Friedrichs Heere –
TEMPELHERR. Von Geburt
Ein Schweizer, dem die Ehr' und Gnade ward,
Mit Seiner Kaiserlichen Majestät
In einem Flusse zu ersaufen. – Weib!
Wievielmal habt Ihr mir das schon erzählt?
Hört Ihr denn gar nicht auf mich zu verfolgen?
DAJA. Verfolgen! lieber Gott!
TEMPELHERR. Ja, ja, verfolgen.
Ich will nun einmal Euch nicht weiter sehn!
Nicht hören! Will von Euch an eine Tat
Nicht fort und fort erinnert sein, bei der
Ich nichts gedacht; die, wenn ich drüber denke,
Zum Rätsel von mir selbst mir wird. Zwar möcht'
Ich sie nicht gern bereuen. Aber seht;
Ereignet so ein Fall sich wieder: Ihr
Seid schuld, wenn ich so rasch nicht handle; wenn
Ich mich vorher erkund – und brennen lasse,
Was brennt.
DAJA. Bewahre Gott!
TEMPELHERR. Von heut an tut
Mir den Gefallen wenigstens, und kennt
Mich weiter nicht. Ich bitt Euch drum. Auch laßt
Den Vater mir vom Halse. Jud' ist Jude.
Ich bin ein plumper Schwab. Des Mädchens Bild
Ist längst aus meiner Seele; wenn es je
Da war.
DAJA. Doch Eures ist aus ihrer nicht.
TEMPELHERR.
Was soll's nun aber da? was soll's?
DAJA. Wer weiß!
Die Menschen sind nicht immer, was sie scheinen.
TEMPELHERR. Doch selten etwas Bessers. (Er geht.)
DAJA. Wartet doch!
Was eilt Ihr?
TEMPELHERR.
Weib, macht mir die Palmen nicht
Verhaßt, worunter ich so gern sonst wandle.
DAJA. So geh, du deutscher Bär! so geh! – Und doch
Muß ich die Spur des Tieres nicht verlieren.
(Sie geht ihm von weiten nach.)
Zweiter Aufzug
Erster Auftritt
Die Szene: des Sultans Palast.
Saladin und Sittah spielen Schach.
SITTAH. Wo bist du, Saladin? Wie spielst du heut?
SALADIN.
Nicht gut? Ich dächte doch.
SITTAH. Für mich, und kaum.
Nimm diesen Zug zurück.
SALADIN. Warum?
SITTAH. Der Springer
Wird unbedeckt.
SALADIN. Ist wahr. Nun so!
SITTAH. So zieh
Ich in die Gabel.
SALADIN. Wieder wahr. – Schach dann!
SITTAH. Was hilft dir das? Ich setze vor: und du
Bist, wie du warst.
SALADIN. Aus dieser Klemme seh
Ich wohl, ist ohne Buße nicht zu kommen.
Mag's! nimm den Springer nur.
SITTAH. Ich will ihn nicht.
Ich geh vorbei.
SALADIN. Du schenkst mir nichts. Dir liegt
An diesem Plane mehr, als an dem Springer.
SITTAH. Kann sein.
SALADIN. Mach deine Rechnung nur nicht ohne
Den Wirt. Denn sieh! Was gilt's, das warst du nicht
Vermuten ?
SITTAH. Freilich nicht. Wie konnt' ich auch
Vermuten, daß du deiner Königin
So müde wärst?
SALADIN. Ich meiner Königin?
SITTAH. Ich seh nun schon: ich soll heut meine tausend
Dinar', kein Naserinchen mehr gewinnen.
SALADIN. Wieso?
SITTAH. Frag noch! – Weil du mit Fleiß, mit aller
Gewalt verlieren willst. – Doch dabei find
Ich meine Rechnung nicht. Denn außer, daß
Ein solches Spiel das unterhaltendste
Nicht ist: gewann ich immer nicht am meisten
Mit dir, wenn ich verlor? Wenn hast du mir
Den Satz, mich des verlornen Spieles wegen
Zu trösten, doppelt nicht hernach geschenkt?
SALADIN. Ei sieh! so hättest du ja wohl, wenn du
Verlorst,