Ungekürztes Werk "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 15)
Jude? hoch von mir?
SITTAH. Dem Gott, –
Mich denkt des Ausdrucks noch recht wohl, des einst
Du selber dich von ihm bedientest, – dem
Sein Gott von allen Gütern dieser Welt
Das Kleinst' und Größte so in vollem Maß
Erteilet habe. –
AL-HAFI. Sagt' ich so? – Was meint'
Ich denn damit?
SITTAH. Das Kleinste: Reichtum. Und
Das Größte: Weisheit.
AL-HAFI. Wie? von einem Juden?
Von einem Juden hätt' ich das gesagt?
SITTAH. Das hättest du von deinem Nathan nicht
Gesagt?
AL-HAFI. Ja so! von dem! vom Nathan! – Fiel
Mir der doch gar nicht bei. – Wahrhaftig? Der
Ist endlich wieder heimgekommen? Ei!
So mag's doch gar so schlecht mit ihm nicht stehn. –
Ganz recht: den nannt' einmal das Volk den Weisen!
Den Reichen auch.
SITTAH. Den Reichen nennt es ihn
Itzt mehr als je. Die ganze Stadt erschallt,
Was für Kostbarkeiten, was für Schätze
Er mitgebracht.
AL-HAFI. Nun, ist's der Reiche wieder:
So wird's auch wohl der Weise wieder sein.
SITTAH.
Was meinst du, Hafi, wenn du diesen angingst?
AL-HAFI.
Und was bei ihm? – Doch wohl nicht borgen? – Ja,
Da kennt Ihr ihn. – Er borgen! – Seine Weisheit
Ist eben, daß er niemand borgt.
SITTAH. Du hast
Mir sonst doch ganz ein ander Bild von ihm
Gemacht.
AL-HAFI. Zur Not wird er Euch Waren borgen.
Geld aber, Geld? Geld nimmermehr. – Es ist
Ein Jude freilich übrigens, wie's nicht
Viel Juden gibt. Er hat Verstand; er weiß
Zu leben; spielt gut Schach. Doch zeichnet er
Im Schlechten sich nicht minder, als im Guten
Von allen andern Juden aus. – Auf den,
Auf den nur rechnet nicht. – Den Armen gibt
Er zwar, und gibt vielleicht trotz Saladin.
Wenn schon nicht ganz so viel; doch ganz so gern;
Doch ganz so sonder Ansehn. Jud' und Christ
Und Muselmann und Parsi, alles ist
Ihm eins.
SITTAH. Und so ein Mann ...
SALADIN. Wie kommt es denn,
Daß ich von diesem Manne nie gehört? ...
SITTAH. Der sollte Saladin nicht borgen? nicht
Dem Saladin, der nur für andre braucht,
Nicht sich?
AL-HAFI. Da seht nun gleich den Juden wieder;
Den ganz gemeinen Juden! – Glaubt mir's doch! –
Er ist aufs Geben Euch so eifersüchtig,
So neidisch! Jedes Lohn von Gott, das in
Der Welt gesagt wird, zög' er lieber ganz
Allein. Nur darum eben leiht er keinem,
Damit er stets zu geben habe. Weil
Die Mild' ihm im Gesetz geboten; die
Gefälligkeit ihm aber nicht geboten: macht
Die Mild' ihn zu dem ungefälligsten
Gesellen auf der Welt. Zwar bin ich seit
Geraumer Zeit ein wenig übern Fuß
Mit ihm gespannt; doch denkt nur nicht, daß ich
Ihm darum nicht Gerechtigkeit erzeige.
Er ist zu allem gut: bloß dazu nicht;
Bloß dazu wahrlich nicht. Ich will auch gleich
Nur gehn, an andre Türen klopfen ... Da
Besinn ich mich soeben eines Mohren,
Der reich und geizig ist. – Ich geh; ich geh.
SITTAH. Was eilst du, Hafi?
SALADIN. Laß ihn! laß ihn!
Dritter Auftritt
Sittah. Saladin.
SITTAH. Eilt
Er doch, als ob er mir nur gern entkäme!
Was heißt das? – Hat er wirklich sich in ihm
Betrogen, oder – möcht' er uns nur gern
Betrügen?
SALADIN. Wie? das fragst du mich? Ich weiß
Ja kaum, von wem die Rede war; und höre
Von euerm Juden, euerm Nathan heut
Zum erstenmal.
SITTAH. Ist's möglich? daß ein Mann
Dir so verborgen blieb, von dem es heißt,
Er habe Salomons und Davids Gräber
Erforscht, und wisse deren Siegel durch
Ein mächtiges geheimes Wort zu lösen?
Aus ihnen bring'