Ungekürztes Werk "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 16)

er dann von Zeit zu Zeit

Die unermeßlichen Reichtümer an

Den Tag, die keinen mindern Quell verrieten.

SALADIN.

Hat seinen Reichtum dieser Mann aus Gräbern,

So waren's sicherlich nicht Salomons,

Nicht Davids Gräber. Narren lagen da

Begraben!

SITTAH.    Oder Bösewichter! – Auch

Ist seines Reichtums Quelle weit ergiebiger,

Weit unerschöpflicher, als so ein Grab

Voll Mammon.

SALADIN.   Denn er handelt; wie ich hörte.

SITTAH. Sein Saumtier treibt auf allen Straßen, zieht

Durch alle Wüsten; seine Schiffe liegen

In allen Häfen. Das hat mir wohl eh'

Al-Hafi selbst gesagt; und voll Entzücken

Hinzugefügt, wie groß, wie edel dieser

Sein Freund anwende, was so klug und emsig

Er zu erwerben für zu klein nicht achte:

Hinzugefügt, wie frei von Vorurteilen

Sein Geist; sein Herz wie offen jeder Tugend,

Wie eingestimmt mit jeder Schönheit sei.

SALADIN.

Und itzt sprach Hafi doch so ungewiß,

So kalt von ihm.

SITTAH.    Kalt nun wohl nicht, verlegen.

Als halt' er's für gefährlich, ihn zu loben,

Und woll' ihn unverdient doch auch nicht tadeln. –

Wie? oder wär' es wirklich so, daß selbst

Der Beste seines Volkes seinem Volke

Nicht ganz entfliehen kann? daß wirklich sich

Al-Hafi seines Freunds von dieser Seite

Zu schämen hätte? – Sei dem, wie ihm wolle! –

Der Jude sei mehr oder weniger

Als Jud', ist er nur reich: genug für uns!

SALADIN. Du willst ihm aber doch das Seine mit

Gewalt nicht nehmen, Schwester?

SITTAH.    Ja, was heißt

Bei dir Gewalt? Mit Feu'r und Schwert? Nein, nein,

Was braucht es mit den Schwachen für Gewalt,

Als ihre Schwäche? – Komm vor itzt nur mit

In meinen Haram, eine Sängerin

Zu hören, die ich gestern erst gekauft.

Es reift indes bei mir vielleicht ein Anschlag,

Den ich auf diesen Nathan habe. – Komm!

Vierter Auftritt

Szene: vor dem Hause des Nathan, wo es an die Palmen stößt.

Recha und Nathan kommen heraus. Zu ihnen Daja.

RECHA. Ihr habt Euch sehr verweilt, mein Vater. Er

Wird kaum noch mehr zu treffen sein.

NATHAN.    Nun, nun;

Wenn hier, hier untern Palmen schon nicht mehr:

Doch anderwärts. – Sei itzt nur ruhig. – Sieh!

Kömmt dort nicht Daja auf uns zu?

RECHA.   Sie wird

Ihn ganz gewiß verloren haben.

NATHAN.   Auch

Wohl nicht.

RECHA. Sie würde sonst geschwinder kommen.

NATHAN. Sie hat uns wohl noch nicht gesehn ...

RECHA.   Nun sieht

Sie uns.

NATHAN.   Und doppelt ihre Schritte. Sieh! –

Sei doch nur ruhig! ruhig!

RECHA.    Wolltet Ihr

Wohl eine Tochter, die hier ruhig wäre?

Sich unbekümmert ließe, wessen Wohltat

Ihr Leben sei? Ihr Leben, – das ihr nur

So lieb, weil sie es Euch zuerst verdanket.

NATHAN.  Ich möchte dich nicht anders, als du bist:

Auch wenn ich wüßte, daß in deiner Seele

Ganz etwas anders noch sich rege.

RECHA.      Was,

Mein Vater?

NATHAN.  Fragst du mich? so schüchtern mich?

Was auch in deinem Innern vorgeht, ist

Natur und Unschuld. Laß es keine Sorge

Dir machen. Mir, mir macht es keine. Nur

Versprich mir: wenn dein Herz vernehmlicher

Sich einst erklärt, mir seiner Wünsche keinen

Zu bergen.

RECHA.    Schon die Möglichkeit, mein Herz

Euch lieber zu verhüllen, macht mich zittern.

NATHAN. Nichts mehr hiervon! Das ein für allemal

Ist abgetan. – Da ist ja Daja. – Nun?

DAJA. Noch wandelt er hier untern Palmen; und

Wird gleich um jene Mauer kommen. – Seht,

Da kömmt er!

RECHA.   Ah! und scheinet unentschlossen,

Wohin? ob weiter? ob hinab? ob rechts?

Ob links?

DAJA.   Nein, nein; er macht den Weg ums Kloster

Gewiß noch öfter; und dann muß er hier

Vorbei. – Was gilt's?

RECHA.   Recht! recht! – Hast du

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