Ungekürztes Werk "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 17)
ihn schon
Gesprochen? Und wie ist er heut?
DAJA. Wie immer.
NATHAN. So macht nur, daß er Euch hier nicht gewahr
Wird. Tretet mehr zurück. Geht lieber ganz
Hinein.
RECHA. Nur einen Blick noch! – Ah! die Hecke,
Die mir ihn stiehlt.
DAJA. Kommt! kommt! Der Vater hat
Ganz recht. Ihr lauft Gefahr, wenn er Euch sieht,
Daß auf der Stell' er umkehrt.
RECHA. Ah! die Hecke!
NATHAN. Und kömmt er plötzlich dort aus ihr hervor:
So kann er anders nicht, er muß Euch sehn.
Drum geht doch nur!
DAJA. Kommt! kommt! Ich weiß ein Fenster,
Aus dem wir sie bemerken können.
RECHA. Ja?
(Beide hinein.)
Fünfter Auftritt
Nathan und bald darauf der Tempelherr.
NATHAN.
Fast scheu ich mich des Sonderlings. Fast macht
Mich seine rauhe Tugend stutzen. Daß
Ein Mensch doch einen Menschen so verlegen
Soll machen können! – Ha! er kömmt. – Bei Gott!
Ein Jüngling wie ein Mann. Ich mag ihn wohl
Den guten, trotz'gen Blick! den prallen Gang!
Die Schale kann nur bitter sein: der Kern
Ist's sicher nicht. – Wo sah ich doch dergleichen? –
Verzeihet, edler Franke ...
TEMPELHERR. Was?
NATHAN. Erlaubt ...
TEMPELHERR. Was, Jude? was?
NATHAN. Daß ich mich untersteh,
Euch anzureden.
TEMPELHERR. Kann ich's wehren? Doch
Nur kurz.
NATHAN. Verzieht, und eilet nicht so stolz,
Nicht so verächtlich einem Mann vorüber,
Den Ihr auf ewig Euch verbunden habt.
TEMPELHERR.
Wie das? – Ah, fast errat ich's. Nicht? lhr seid ...
NATHAN. Ich heiße Nathan; bin des Mädchens Vater,
Das Eure Großmut aus dem Feu'r gerettet;
Und komme ...
TEMPELHERR. Wenn zu danken: – spart's! Ich hab
Um diese Kleinigkeit des Dankes schon
Zu viel erdulden müssen. – Vollends Ihr,
Ihr seid mir gar nichts schuldig. Wußt' ich denn,
Daß dieses Mädchen Eure Tochter war?
Es ist der Tempelherren Pflicht, dem ersten
Dem besten beizuspringen, dessen Not
Sie sehn. Mein Leben war mir ohnedem
In diesem Augenblicke lästig. Gern,
Sehr gern ergriff ich die Gelegenheit,
Es für ein andres Leben in die Schanze
Zu schlagen: für ein andres – wenn's auch nur
Das Leben einer Jüdin wäre.
NATHAN. Groß!
Groß und abscheulich! – Doch die Wendung läßt
Sich denken. Die bescheidne Größe flüchtet
Sich hinter das Abscheuliche, um der
Bewundrung auszuweichen. – Aber wenn
Sie so das Opfer der Bewunderung
Verschmäht: was für ein Opfer denn verschmäht
Sie minder? – Ritter, wenn Ihr hier nicht fremd
Und nicht gefangen wäret, würd' ich Euch
So dreist nicht fragen. Sagt, befehlt: womit
Kann man Euch dienen?
TEMPELHERR. Ihr? Mit nichts.
NATHAN. Ich bin
Ein reicher Mann.
TEMPELHERR. Der reichre Jude war
Mir nie der beßre Jude.
NATHAN. Dürft Ihr denn
Darum nicht nützen, was demungeachtet
Er Beßres hat? nicht seinen Reichtum nützen?
TEMPELHERR.
Nun gut, das will ich auch nicht ganz verreden;
Um meines Mantels willen nicht. Sobald
Der ganz und gar verschlissen; weder Stich
Noch Fetze länger halten will: komm ich
Und borge mir bei Euch zu einem neuen,
Tuch oder Geld. – Seht nicht mit eins so finster!
Noch seid Ihr sicher; noch ist's nicht so weit
Mit ihm. Ihr seht; er ist so ziemlich noch
Im Stande. Nur der eine Zipfel da
Hat einen garst'gen Fleck; er ist versengt.
Und das bekam er, als ich Eure Tochter
Durchs Feuer trug.
Nathan (der nach dem Zipfel greift und ihn betrachtet).
Es ist doch sonderbar,
Daß so ein böser Fleck, daß so ein Brandmal
Dem Mann ein beßres Zeugnis redet, als
Sein eigner Mund. Ich möcht' ihn küssen gleich –
Den Flecken! – Ah, verzeiht! – Ich tat es ungern.
TEMPELHERR. Was?
NATHAN. Eine Träne fiel darauf.
TEMPELHERR.