Ungekürztes Werk "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 19)

Euch

Muß unterbrechen.

NATHAN.   Nun, was ist's?

TEMPELHERR.    Was ist's?

DAJA. Der Sultan hat geschickt. Der Sultan will

Euch sprechen. Gott, der Sultan!

NATHAN.    Mich? der Sultan?

Er wird begierig sein, zu sehen, was

Ich Neues mitgebracht. Sag nur, es sei

Noch wenig oder gar nichts ausgepackt.

DAJA.

Nein, nein; er will nichts sehen; will Euch sprechen,

Euch in Person, und bald; sobald Ihr könnt.

NATHAN.

Ich werde kommen. – Geh nur wieder, geh!

DAJA. Nehmt ja nicht übel auf, gestrenger Ritter –

Gott, wir sind so bekümmert, was der Sultan

Doch will.

NATHAN.    Das wird sich zeigen. Geh nur, geh!

Siebenter Auftritt

Nathan und der Tempelherr.

TEMPELHERR.

So kennt Ihr ihn noch nicht? – ich meine, von

Person.

NATHAN.  Den Saladin? Noch nicht. Ich habe

Ihn nicht vermieden, nicht gesucht zu kennen.

Der allgemeine Ruf sprach viel zu gut

Von ihm, daß ich nicht lieber glauben wollte,

Als sehn. Doch nun, – wenn anders dem so ist, –

Hat er durch Sparung Eures Lebens ...

TEMPELHERR.    Ja;

Dem allerdings ist so. Das Leben, das

Ich leb, ist sein Geschenk.

NATHAN.   Durch das er mir

Ein doppelt, dreifach Leben schenkte. Dies

Hat alles zwischen uns verändert; hat

Mit eins ein Seil mir umgeworfen, das

Mich seinem Dienst auf ewig fesselt. Kaum,

Und kaum, kann ich es nun erwarten, was

Er mir zuerst befehlen wird. Ich bin

Bereit zu allem; bin bereit ihm zu

Gestehn, daß ich es Euertwegen bin.

TEMPELHERR.

Noch hab ich selber ihm nicht danken können:

Sooft ich auch ihm in den Weg getreten.

Der Eindruck, den ich auf ihn machte, kam

So schnell, als schnell er wiederum verschwunden.

Wer weiß, ob er sich meiner gar erinnert.

Und dennoch muß er, einmal wenigstens,

Sich meiner noch erinnern, um mein Schicksal

Ganz zu entscheiden. Nicht genug, daß ich

Auf sein Geheiß noch bin, mit seinem Willen

Noch leb: ich muß nun auch von ihm erwarten,

Nach wessen Willen ich zu leben habe.

NATHAN.

Nicht anders; um so mehr will ich nicht säumen. –

Es fällt vielleicht ein Wort, das mir, auf Euch

Zu kommen, Anlaß gibt. – Erlaubt, verzeiht –

Ich eile – Wenn, wenn aber sehn wir Euch

Bei uns?

TEMPELHERR. Sobald ich darf.

NATHAN.   Sobald Ihr wollt.

TEMPELHERR. Noch heut.

NATHAN.  Und Euer Name? – muß ich bitten.

TEMPELHERR.

Mein Name war – ist Curd von Stauffen. – Curd!

NATHAN. Von Stauffen? – Stauffen? – Stauffen?

TEMPELHERR. Warum fällt

Euch das so auf?

NATHAN.    Von Stauffen? – Des Geschlechts

Sind wohl noch mehrere ...

TEMPELHERR.    O ja! hier waren,

Hier faulen des Geschlechts schon mehrere.

Mein Oheim selbst, – mein Vater will ich sagen, –

Doch warum schärft sich Euer Blick auf mich

Je mehr und mehr?

NATHAN.   O nichts! o nichts! Wie kann

Ich Euch zu sehn ermüden?

TEMPELHERR.   Drum verlaß

Ich Euch zuerst. Der Blick des Forschers fand

Nicht selten mehr, als er zu finden wünschte.

Ich fürcht ihn, Nathan. Laßt die Zeit allmählich,

Und nicht die Neugier, unsre Kundschaft machen.

(Er geht.)

NATHAN (der ihm mit Erstaunen nachsieht).

»Der Forscher fand nicht selten mehr, als er

zu finden wünschte.« – Ist es doch, als ob

In meiner Seel' er lese! – Wahrlich ja;

Das könnt' auch mir begegnen. – Nicht allein

Wolfs Wuchs, Wolfs Gang: auch seine Stimme. So,

Vollkommen so, warf Wolf sogar den Kopf;

Trug Wolf sogar das Schwert im Arm'; strich Wolf

Sogar die Augenbraunen mit der Hand,

Gleichsam das Feuer seines Blicks zu bergen. –

Wie solche tiefgeprägte Bilder doch

Zu Zeiten in uns schlafen können, bis

Ein Wort, ein Laut sie weckt. –

Seiten