Ungekürztes Werk "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 18)

Tut nichts!

Er hat der Tropfen mehr. – (Bald aber fängt

Mich dieser Jud' an zu verwirren.)

NATHAN. Wärt

Ihr wohl so gut, und schicktet Euern Mantel

Auch einmal meinem Mädchen?

TEMPELHERR.   Was damit?

NATHAN.

Auch ihren Mund an diesen Fleck zu drücken.

Denn Eure Kniee selber zu umfassen,

Wünscht sie nun wohl vergebens.

TEMPELHERR.    Aber, Jude –

Ihr heißet Nathan? – Aber, Nathan – Ihr

Setzt Eure Worte sehr – sehr gut – sehr spitz –

Ich bin betreten – Allerdings – ich hätte ...

NATHAN.

Stellt und verstellt Euch, wie Ihr wollt. Ich find

Auch hier Euch aus. Ihr wart zu gut, zu bieder,

Um höflicher zu sein. – Das Mädchen, ganz

Gefühl; der weibliche Gesandte, ganz

Dienstfertigkeit; der Vater weit entfernt –

Ihr trugt für ihren guten Namen Sorge;

Floht ihre Prüfung; floht, um nicht zu siegen.

Auch dafür dank ich Euch –

TEMPELHERR. Ich muß gestehn,

Ihr wißt, wie Tempelherren denken sollten.

NATHAN. Nur Tempelherren? sollten bloß? und bloß

Weil es die Ordensregeln so gebieten?

Ich weiß, wie gute Menschen denken; weiß,

Daß alle Länder gute Menschen tragen.

TEMPELHERR.

Mit Unterschied, doch hoffentlich?

NATHAN.  Jawohl;

An Farb', an Kleidung, an Gestalt verschieden.

TEMPELHERR.

Auch hier bald mehr, bald weniger, als dort.

NATHAN.

Mit diesem Unterschied ist's nicht weit her.

Der große Mann braucht überall viel Boden;

Und mehrere, zu nah gepflanzt, zerschlagen

Sich nur die Äste. Mittelgut, wie wir,

Find't sich hingegen überall in Menge.

Nur muß der eine nicht den andern mäkeln.

Nur muß der Knorr den Knuppen hübsch vertragen.

Nur muß ein Gipfelchen sich nicht vermessen,

Daß es allein der Erde nicht entschossen.

TEMPELHERR.

Sehr wohl gesagt! – Doch kennt Ihr auch das Volk,

Das diese Menschenmäkelei zuerst

Getrieben? Wißt Ihr, Nathan, welches Volk

Zuerst das auserwählte Volk sich nannte?

Wie? wenn ich dieses Volk nun, zwar nicht haßte,

Doch wegen seines Stolzes zu verachten,

Mich nicht entbrechen könnte? Seines Stolzes;

Den es auf Christ und Muselmann vererbte,

Nur sein Gott sei der rechte Gott! – Ihr stutzt,

Daß ich, ein Christ, ein Tempelherr, so rede?

Wenn hat, und wo die fromme Raserei,

Den bessern Gott zu haben, diesen bessern

Der ganzen Welt als besten aufzudringen,

In ihrer schwärzesten Gestalt sich mehr

Gezeigt, als hier, als itzt? Wem hier, wem itzt

Die Schuppen nicht vom Auge fallen ... Doch

Sei blind, wer will! – Vergeßt, was ich gesagt;

Und laßt mich! (Will gehen.)

NATHAN. Ha! Ihr wißt nicht, wie viel fester

Ich nun mich an Euch drängen werde. – Kommt,

Wir müssen, müssen Freunde sein! – Verachtet

Mein Volk so sehr Ihr wollt. Wir haben beide

Uns unser Volk nicht auserlesen. Sind

Wir unser Volk? Was heißt denn Volk?

Sind Christ und Jude eher Christ und Jude,

Als Mensch? Ah! wenn ich einen mehr in Euch

Gefunden hätte, dem es gnügt, ein Mensch

Zu heißen!

TEMPELHERR.

    Ja, bei Gott, das habt Ihr, Nathan!

Das habt Ihr! – Eure Hand! – Ich schäme mich,

Euch einen Augenblick verkannt zu haben.

NATHAN. Und ich bin stolz darauf. Nur das Gemeine

Verkennt man selten.

TEMPELHERR.    Und das Seltene

Vergißt man schwerlich. – Nathan, ja;

Wir müssen, müssen Freunde werden.

NATHAN.    Sind

Es schon. – Wie wird sich meine Recha freuen! –

Und ah! welch eine heitre Ferne schließt

Sich meinen Blicken auf! – Kennt sie nur erst.

TEMPELHERR.

Ich brenne vor Verlangen. – Wer stürzt dort

Aus Euerm Hause? Ist's nicht ihre Daja?

NATHAN. Jawohl. So ängstlich?

TEMPELHERR.   Unsrer Recha ist

Doch nichts begegnet?

Sechster Auftritt

Die Vorigen und Daja eilig.

DAJA. Nathan! Nathan!

NATHAN.  Nun?

DAJA. Verzeihet, edler Ritter, daß ich

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