Ungekürztes Werk "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 22)

werden kann. Dich zieht dein Vaterland:

Und meines, meines sollte mich nicht halten?

Ein Bild der Deinen, das in deiner Seele

Noch nicht verloschen, sollte mehr vermögen,

Als die ich sehn, und greifen kann, und hören,

Die Meinen?

DAJA.  Sperre dich, soviel du willst!

Des Himmels Wege sind des Himmels Wege.

Und wenn es nun dein Retter selber wäre,

Durch den sein Gott, für den er kämpft, dich in

Das Land, dich zu dem Volke führen wollte,

Für welche du geboren wurdest?

RECHA.    Daja!

Was sprichst du da nun wieder, liebe Daja!

Du hast doch wahrlich deine sonderbaren

Begriffe! »Sein, sein Gott! für den er kämpft!«

Wem eignet Gott? was ist das für ein Gott,

Der einem Menschen eignet? der für sich

Muß kämpfen lassen? – Und wie weiß

Man denn, für welchen Erdkloß man geboren,

Wenn man's für den nicht ist, auf welchem man

Geboren? – Wenn mein Vater dich so hörte! –

Was tat er dir, mir immer nur mein Glück

So weit von ihm als möglich vorzuspiegeln?

Was tat er dir, den Samen der Vernunft,

Den er so rein in meine Seele streute,

Mit deines Landes Unkraut oder Blumen

So gern zu mischen? – Liebe, liebe Daja,

Er will nun deine bunten Blumen nicht

Auf meinem Boden! – Und ich muß dir sagen,

Ich selber fühle meinen Boden, wenn

Sie noch so schön ihn kleiden, so entkräftet,

So ausgezehrt durch deine Blume; fühle

In ihrem Dufte, sauersüßem Dufte,

Mich so betäubt, so schwindelnd! – Dein Gehirn

Ist dessen mehr gewohnt. Ich tadle drum

Die stärkern Nerven nicht, die ihn vertragen.

Nur schlägt er mir nicht zu; und schon dein Engel,

Wie wenig fehlte, daß er mich zur Närrin

Gemacht? – Noch schäm ich mich vor meinem Vater

Der Posse!

DAJA.    Posse! – Als ob der Verstand

Nur hier zu Hause wäre! Posse! Posse!

Wenn ich nur reden dürfte!

RECHA. Darfst du nicht?

Denn war ich nicht ganz Ohr, sooft es dir

Gefiel, von deinen Glaubenshelden mich

Zu unterhalten? Hab ich ihren Taten

Nicht stets Bewunderung, und ihren Leiden

Nicht immer Tränen gern gezollt? Ihr Glaube

Schien freilich mir das Heldenmäßigste

An ihnen nie. Doch so viel tröstender

War mir die Lehre, daß Ergebenheit

In Gott von unserm Wähnen über Gott

So ganz und gar nicht abhängt. – Liebe Daja,

Das hat mein Vater uns so oft gesagt;

Darüber hast du selbst mit ihm so oft

Dich einverstanden: warum untergräbst

Du denn allein, was du mit ihm zugleich

Gebauet? – Liebe Daja, das ist kein

Gespräch, womit wir unserm Freund' am besten

Entgegensehn. Für mich zwar, ja! Denn mir,

Mir liegt daran unendlich, ob auch er ...

Horch, Daja! – Kommt es nicht an unsre Türe?

Wenn Er es wäre! horch!

Zweiter Auftritt

Recha. Daja und der Tempelherr, dem jemand von außen die Türe öffnet, mit den Worten:

    Nur hier herein!

RECHA (fährt zusammen, faßt sich und will ihm zu Füßen fallen).

Er ist's! – Mein Retter, ah!

TEMPELHERR.  Dies zu vermeiden

Erschien ich bloß so spät: und doch –

RECHA.   Ich will

Ja zu den Füßen dieses stolzen Mannes

Nur Gott noch einmal danken; nicht dem Manne.

Der Mann will keinen Dank; will ihn so wenig

Als ihn der Wassereimer will, der bei

Dem Löschen so geschäftig sich erwiesen.

Der ließ sich füllen, ließ sich leeren, mir

Nichts, dir nichts: also auch der Mann. Auch der

Ward nur so in die Glut hineingestoßen;

Da fiel ich ungefähr ihm in den Arm;

Da blieb ich ungefähr, so

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