Ungekürztes Werk "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 27)

Auftritt

Saladin und Nathan.

SALADIN.

(So ist das Feld hier rein!) – Ich komm dir doch

Nicht zu geschwind zurück? Du bist zu Rande

Mit deiner Überlegung. – Nun so rede!

Es hört uns keine Seele.

NATHAN.  Möcht' auch doch

Die ganze Welt uns hören.

SALADIN.    So gewiß

Ist Nathan seiner Sache? Ha! das nenn

Ich einen Weisen! Nie die Wahrheit zu

Verhehlen! für sie alles auf das Spiel

Zu setzen! Leib und Leben! Gut und Blut!

NATHAN. Ja! ja! wann's nötig ist und nutzt.

SALADIN.     Von nun

An darf ich hoffen, einen meiner Titel,

Verbesserer der Welt und des Gesetzes,

Mit Recht zu führen.

NATHAN.    Traun, ein schöner Titel!

Doch, Sultan, eh' ich mich dir ganz vertraue,

Erlaubst du wohl, dir ein Geschichtchen zu

Erzählen?

SALADIN.    Warum das nicht? Ich bin stets

Ein Freund gewesen von Geschichtchen, gut

Erzählt.

NATHAN.  Ja, gut erzählen, das ist nun

Wohl eben meine Sache nicht.

SALADIN.  Schon wieder

So stolz bescheiden? – Mach! erzähl, erzähle!

NATHAN.

Vor grauen Jahren lebt' ein Mann in Osten,

Der einen Ring von unschätzbarem Wert

Aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein

Opal, der hundert schöne Farben spielte,

Und hatte die geheime Kraft, vor Gott

Und Menschen angenehm zu machen, wer

In dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder,

Daß ihn der Mann in Osten darum nie

Vom Finger ließ; und die Verfügung traf,

Auf ewig ihn bei seinem Hause zu

Erhalten? Nämlich so. Er ließ den Ring

Von seinen Söhnen dem geliebtesten;

Und setzte fest, daß dieser wiederum

Den Ring von seinen Söhnen dem vermache

Der ihm der liebste sei; und stets der liebste

Ohn' Ansehn der Geburt, in Kraft allein

Des Rings, das Haupt, der Fürst des Hauses werde. –

Versteh mich, Sultan.

SALADIN.    Ich versteh dich. Weiter!

NATHAN. So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn,

Auf einen Vater endlich von drei Söhnen;

Die alle drei ihm gleich gehorsam waren,

Die alle drei er folglich gleich zu lieben

Sich nicht entbrechen konnte. Nur von Zeit

Zu Zeit schien ihm bald der, bald dieser, bald

Der dritte, – sowie jeder sich mit ihm

Allein befand, und sein ergießend Herz

Die andern zwei nicht teilten, – würdiger

Des Ringes; den er denn auch einem jeden

Die fromme Schwachheit hatte, zu versprechen.

Das ging nun so, solang es ging. – Allein

Es kam zum Sterben, und der gute Vater

Kömmt in Verlegenheit. Es schmerzt ihn, zwei

Von seinen Söhnen, die sich auf sein Wort

Verlassen, so zu kränken. – Was zu tun? –

Er sendet in geheim zu einem Künstler,

Bei dem er, nach dem Muster seines Ringes,

Zwei andere bestellt, und weder Kosten

Noch Mühe sparen heißt, sie jenem gleich,

Vollkommen gleich zu machen. Das gelingt

Dem Künstler. Da er ihm die Ringe bringt,

Kann selbst der Vater seinen Musterring

Nicht unterscheiden. Froh und freudig ruft

Er seine Söhne, jeden insbesondre,

Gibt jedem insbesondre seinen Segen, –

Und seinen Ring, – und stirbt. – Du hörst doch, Sultan?

SALADIN. (der sich betroffen von ihm gewandt).

Ich hör, ich höre! – Komm mit deinem Märchen

Nur bald zu Ende. – Wird's?

NATHAN.  Ich bin zu Ende.

Denn was noch folgt, versteht sich ja von selbst. –

Kaum war der Vater tot, so kömmt ein jeder

Mir seinem Ring, und jeder will der Fürst

Des Hauses sein. Man untersucht, man zankt,

Man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht

Erweislich; – (nach einer Pause, in welcher er des Sultans Antwort erwartet)

    Fast so unerweislich, als

Uns itzt – der rechte Glaube.

SALADIN.      Wie? das soll

Die

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