Ungekürztes Werk "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 29)

legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut,

Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun,

Mit innigster Ergebenheit in Gott

Zu Hilf'! Und wenn sich dann der Steine Kräfte

Bei euern Kindes-Kindeskindern äußern:

So lad ich über tausend tausend Jahre

Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird

Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen

Als ich; und sprechen. Geht! – So sagte der

Bescheidne Richter.

SALADIN.    Gott! Gott!

NATHAN.   Saladin,

Wenn du dich fühlest, dieser weisere

Versprochne Mann zu sein: ...

SALADIN. (der auf ihn zustürzt und seine Hand ergreift, die er bis zu Ende nicht wieder fahren laßt).    Ich Staub? Ich Nichts?

O Gott!

NATHAN.  Was ist dir, Sultan?

SALADIN.    Nathan, lieber Nathan! –

Die tausend tausend Jahre deines Richters

Sind noch nicht um. – Sein Richterstuhl ist nicht

Der meine. Geh! – Geh! – Aber sei mein Freund.

NATHAN.  Und weiter hätte Saladin mir nichts

Zu sagen?

SALADIN.    Nichts.

NATHAN. Nichts?

SALADIN.  Gar nichts. – Und warum?

NATHAN. Ich hätte noch Gelegenheit gewünscht,

Dir eine Bitte vorzutragen.

SALADIN.    Braucht's

Gelegenheit zu einer Bitte? – Rede!

NATHAN.

Ich komm von einer weiten Reis', auf welcher

Ich Schulden eingetrieben. – Fast hab ich

Des baren Gelds zuviel. – Die Zeit beginnt

Bedenklich wiederum zu werden, – und

Ich weiß nicht recht, wo sicher damit hin. –

Da dacht' ich, ob nicht du vielleicht, – weil doch

Ein naher Krieg des Geldes immer mehr

Erfordert, – etwas brauchen könntest.

SALADIN. (ihm steif in die Augen sehend).

   Nathan! –

Ich will nicht fragen, ob Al-Hafi schon

Bei dir gewesen; – will nicht untersuchen,

Ob dich nicht sonst ein Argwohn treibt, mir dieses

Erbieten freierdings zu tun: ...

NATHAN.  Ein Argwohn?

SALADIN.

Ich bin ihn wert. – Verzeih mir! – Denn was hilft's?

Ich muß dir nur gestehen, – daß ich im

Begriffe war –

NATHAN.    Doch nicht, das Nämliche

An mich zu suchen?

SALADIN.    Allerdings.

NATHAN.  So wär'

Uns beiden ja geholfen! – Daß ich aber

Dir alle meine Barschaft nicht kann schicken,

Das macht der junge Tempelherr. Du kennst

Ihn ja. Ihm hab ich eine große Post

Vorher noch zu bezahlen.

SALADIN.   Tempelherr?

Du wirst doch meine schlimmsten Feinde nicht

Mit deinem Geld auch unterstützen wollen?

NATHAN. Ich spreche von dem einen nur, dem du

Das Leben spartest ...

SALADIN.    Ah! woran erinnerst

Du mich! – Hab ich doch diesen Jüngling ganz

Vergessen! – Kennst du ihn? – Wo ist er?

NATHAN.  Wie?

So weißt du nicht, wieviel von deiner Gnade

Für ihn, durch ihn auf mich geflossen? Er,

Er mit Gefahr des neu erhaltnen Lebens,

Hat meine Tochter aus dem Feu'r gerettet.

SALADIN.

Er? Hat er das? – Ha! darnach sah er aus.

Das hätte traun mein Bruder auch getan,

Dem er so ähnelt! – Ist er denn noch hier?

So bring ihn her! – Ich habe meiner Schwester

Von diesem ihren Bruder, den sie nicht

Gekannt, so viel erzählet, daß ich sie

Sein Ebenbild doch auch muß sehen lassen! –

Geh, hol ihn! – Wie aus einer guten Tat,

Gebar sie auch schon bloße Leidenschaft,

Doch so viel andre gute Taten fließen!

Geh, hol ihn!

NATHAN (indem er Saladins Hand fahren läßt).

    Augenblicks! Und bei dem andern

Bleibt es doch auch? (Ab.)

SALADIN.   Ah! daß ich meine Schwester

Nicht horchen lassen! – Zu ihr! zu ihr! – Denn

Wie soll ich alles das ihr nun erzählen?

(Ab von der andern Seite.)

Achter Auftritt

Die Szene: unter den Palmen, in der Nähe des Klosters, wo der Tempelherr Nathans wartet.

TEMPELHERR (geht, mit sich selbst kämpfend, auf und ab; bis er losbricht).

– Hier hält

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