Ungekürztes Werk "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 30)

das Opfertier ermüdet still. –

Nun gut! Ich mag nicht, mag nicht näher wissen,

Was in mir vorgeht; mag voraus nicht wittern,

Was vorgehn wird. – Genug, ich bin umsonst

Geflohn! umsonst. – Und weiter konnt' ich doch

Auch nichts, als fliehn! – Nun komm', was kommen soll! –

Ihm auszubeugen, war der Streich zu schnell

Gefallen; unter den zu kommen, ich

So lang und viel mich weigerte. – Sie sehn,

Die ich zu sehn so wenig lüstern war, –

Sie sehn, und der Entschluß, sie wieder aus

Den Augen nie zu lassen. – Was Entschluß?

Entschluß ist Vorsatz, Tat: und ich, ich litt',

Ich litte bloß. – Sie sehn, und das Gefühl

An sie verstrickt, in sie verwebt zu sein,

War eins. – Bleibt eins. – Von ihr getrennt

Zu leben, ist mir ganz undenkbar; wär'

Mein Tod, – und wo wir immer nach dem Tode

Noch sind, auch da mein Tod. – Ist das nun Liebe:

So – liebt der Tempelritter freilich, – liebt

Der Christ das Judenmädchen freilich. – Hm!

Was tut's? – Ich hab in dem gelobten Lande, –

Und drum auch mir gelobt auf immerdar! –

Der Vorurteile mehr schon abgelegt. –

Was will mein Orden auch? Ich Tempelherr

Bin tot, war von dem Augenblick ihm tot,

Der mich zu Saladins Gefangnen machte.

Der Kopf, den Saladin mir schenkte, wär'

Mein alter? – Ist ein neuer; der von allem

Nichts weiß, was jenem eingeplaudert ward,

Was jenen band. – Und ist ein beßrer; für

Den väterlichen Himmel mehr gemacht.

Das spür ich ja. Denn erst mit ihm beginn

Ich so zu denken, wie mein Vater hier

Gedacht muß haben; wenn man Märchen nicht

Von ihm mir vorgelogen. – Märchen? – doch

Ganz glaubliche, die glaublicher mir nie

Als itzt geschienen, da ich nur Gefahr

Zu straucheln laufe, wo er fiel. – Er fiel?

Ich will mit Männern lieber fallen, als

Mit Kindern stehn. – Sein Beispiel bürget mir

Für seinen Beifall. Und an wessen Beifall

Liegt mir denn sonst? – An Nathans? – O an dessen

Ermuntrung mehr, als Beifall, kann es mir

Noch weniger gebrechen. – Welch ein Jude! –

Und der so ganz nur Jude scheinen will!

Da kömmt er; kömmt mit Hast; glüht heitre Freude.

Wer kam vom Saladin je anders? – He!

He, Nathan!

Neunter Auftritt

Nathan und der Tempelherr.

NATHAN.    Wie? seid Ihr's?

TEMPELHERR.   Ihr habt

Sehr lang' Euch bei dem Sultan aufgehalten.

NATHAN.

So lange nun wohl nicht. Ich ward im Hingehn

Zu viel verweilt. Ah, wahrlich, Curd; der Mann

Steht seinen Ruhm. Sein Ruhm ist bloß sein Schatten. –

Doch laßt vor allen Dingen Euch geschwind

Nur sagen ...

TEMPELHERR.    Was?

NATHAN.  Er will Euch sprechen; will,

Daß ungesäumt Ihr zu ihm kommt. Begleitet

Mich nur nach Hause, wo ich noch für ihn

Erst etwas anders zu verfügen habe:

Und dann, so gehn wir!

TEMPELHERR.    Nathan, Euer Haus

Betret ich wieder eher nicht ...

NATHAN.  So seid

Ihr doch indes schon da gewesen? habt

Indes sie doch gesprochen? – Nun? – Sagt: wie

Gefällt Euch Recha?

TEMPELHERR.   Über allen Ausdruck!

Allein, – sie wiedersehn – das werd ich nie!

Nie! nie! – Ihr müßtet mir zur Stelle denn

Versprechen: – daß ich sie auf immer, immer –

Soll können sehn.

NATHAN.      Wie wollt Ihr, daß ich das

Versteh?

TEMPELHERR (nach einer kurzen Pause ihm plötzlich

um den Hals fallend).

   Mein Vater!

NATHAN.   – Junger Mann!

TEMPELHERR (ihn ebenso plötzlich wieder lassend).

  Nicht Sohn? –

Ich bitt Euch, Nathan! –

NATHAN. 

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