Ungekürztes Werk "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 31)
Lieber junger Mann!
TEMPELHERR.
Nicht Sohn? – Ich bitt Euch, Nathan! – Ich beschwör
Euch bei den ersten Banden der Natur! –
Zieht ihnen spätre Fesseln doch nicht vor! –
Begnügt Euch doch ein Mensch zu sein! – Stoßt mich
Nicht von Euch!
NATHAN. Lieber, lieber Freund! ...
TEMPELHERR. Und Sohn?
Sohn nicht? – Auch dann nicht, dann nicht einmal, wenn
Erkenntlichkeit zum Herzen Eurer Tochter
Der Liebe schon den Weg gebahnet hätte?
Auch dann nicht einmal, wenn in eins zu schmelzen,
Auf Euern Wink nur beide warteten? –
Ihr schweigt?
NATHAN. Ihr überrascht mich, junger Ritter.
TEMPELHERR.
Ich überrasch Euch? – überrasch Euch, Nathan,
Mit Euern eigenen Gedanken? – Ihr
Verkennt sie doch in meinem Munde nicht? –
Ich überrasch Euch?
NATHAN. Eh' ich einmal weiß,
Was für ein Stauffen Euer Vater denn
Gewesen ist!
TEMPELHERR. Was sagt Ihr, Nathan? was? –
In diesem Augenblicke fühlt Ihr nichts
Als Neubegier?
NATHAN.
Denn seht! Ich habe selbst
Wohl einen Stauffen ehedem gekannt,
Der Conrad hieß.
TEMPELHERR. Nun, – wenn mein Vater denn
Nun ebenso geheißen hätte?
NATHAN. Wahrlich?
TEMPELHERR.
Ich heiße selber ja nach meinem Vater: Curd
Ist Conrad.
NATHAN. Nun – so war mein Conrad doch
Nicht Euer Vater. Denn mein Conrad war,
Was Ihr, war Tempelherr, war nie vermählt.
TEMPELHERR. O darum!
NATHAN. Wie?
TEMPELHERR. O darum könnt' er doch
Mein Vater wohl gewesen sein.
NATHAN. Ihr scherzt.
TEMPELHERR.
Und Ihr nehmt's wahrlich zu genau! – Was wär's,
Denn nun? So was von Bastard oder Bankert!
Der Schlag ist auch nicht zu verachten. – Doch
Entlaßt mich immer meiner Ahnenprobe.
Ich will Euch Eurer wiederum entlassen.
Nicht zwar, als ob ich den geringsten Zweifel
In Euern Stammbaum setzte. Gott behüte!
Ihr könnt ihn Blatt vor Blatt bis Abraham
Hinauf belegen. Und von da so weiter
Weiß ich ihn selbst; will ich ihn selbst beschwören.
NATHAN.
Ihr werdet bitter. – Doch verdien ich's? – Schlug
Ich denn Euch schon was ab? – Ich will Euch ja
Nur bei dem Worte nicht den Augenblick
So fassen. – Weiter nichts.
TEMPELHERR. Gewiß? – Nichts weiter?
O so vergebt! ...
NATHAN. Nun kommt nur, kommt!
TEMPELHERR. Wohin?
Nein! – Mit in Euer Haus? – Das nicht! das nicht! –
Da brennt's! – Ich will Euch hier erwarten. Geht! –
Soll ich sie wiedersehn: so seh ich sie
Noch oft genug. Wo nicht: so sah ich sie
Schon viel zu viel ...
NATHAN. Ich will mich möglichst eilen.
Zehnter Auftritt
Der Tempelherr und bald darauf Daja.
TEMPELHERR.
Schon mehr als genug! – Des Menschen Hirn faßt so
Unendlich viel und ist doch manchmal auch
So plötzlich voll! von einer Kleinigkeit
So plötzlich voll! – Taugt nichts, taugt nichts; es sei
Auch voll wovon es will. – Doch nur Geduld!
Die Seele wirkt den aufgedunsnen Stoff
Bald ineinander, schafft sich Raum, und Licht
Und Ordnung kommen wieder. – Lieb ich denn
Zum ersten Male? – Oder war, was ich
Als Liebe kenne, Liebe nicht? – Ist Liebe
Nur was ich itzt empfinde? ...
DAJA (die sich von der Seite herbeigeschlichen).
Ritter! Ritter!
TEMPELHERR. Wer ruft? – Ha, Daja, Ihr?
DAJA. Ich habe mich
Bei ihm vorbeigeschlichen. Aber noch
Könnt' er uns sehn, wo Ihr da steht. – Drum kommt
Doch näher zu mir, hinter diesen Baum.
TEMPELHERR.
Was gibt's denn? – So geheimnisvoll? – Was ist's?
DAJA.
Ja wohl betrifft es ein Geheimnis, was
Mich zu Euch bringt; und zwar ein doppeltes.
Das eine weiß nur ich; das andre wißt
Nur Ihr. – Wie wär' es, wenn wir tauschten?
Vertraut mir Euers: so vertrau ich Euch
Das meine.
TEMPELHERR. Mit Vergnügen.