Ungekürztes Werk "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 33)

hören will! – Gott weiß,

Das Herze blutet mir, ihn so zu zwingen.

TEMPELHERR.

Ich bitt Euch, Daja, setzt mich kurz und gut

Aus dieser Ungewißheit. Seid Ihr aber

Noch selber ungewiß; ob, was Ihr vorhabt,

Gut oder böse, schändlich oder löblich

Zu nennen: – schweigt! – Ich will vergessen, daß

Ihr etwas zu verschweigen habt.

DAJA.   Das spornt,

Anstatt zu halten. Nun; so wißt denn: Recha

Ist keine Jüdin; ist – ist eine Christin.

TEMPELHERR (kalt).

So? Wünsch Euch Glück! Hat's schwer gehalten? Laßt

Euch nicht die Wehen schrecken! – Fahret ja

Mit Eifer fort, den Himmel zu bevölkern:

Wenn Ihr die Erde nicht mehr könnt!

DAJA.   Wie, Ritter?

Verdienet meine Nachricht diesen Spott?

Daß Recha eine Christin ist: das freuet

Euch, einen Christen, einen Tempelherrn,

Der Ihr sie liebt, nicht mehr?

TEMPELHERR.    Besonders, da

Sie eine Christin ist von Eurer Mache.

DAJA.

Ah! so versteht Ihr's? So mag's gelten! – Nein!

Den will ich sehn, der die bekehren soll!

Ihr Glück ist, längst zu sein, was sie zu werden

Verdorben ist.

TEMPELHERR. Erklärt Euch, oder – geht!

DAJA. Sie ist ein Christenkind, von Christeneltern

Geboren; ist getauft ...

TEMPELHERR (hastig). Und Nathan?

DAJA.   Nicht

Ihr Vater!

TEMPELHERR. Nathan nicht ihr Vater? – Wißt

Ihr, was Ihr sagt?

DAJA. Die Wahrheit, die so oft

Mich blut'ge Tränen weinen machen. – Nein,

Er ist ihr Vater nicht ...

TEMPELHERR.    Und hätte sie

Als seine Tochter nur erzogen? hätte

Das Christenkind als eine Jüdin sich

Erzogen?

DAJA.   Ganz gewiß.

TEMPELHERR.    Sie wüßte nicht,

Was sie geboren sei? – Sie hätt' es nie

Von ihm erfahren, daß sie eine Christin

Geboren sei, und keine Jüdin?

DAJA.  Nie!

TEMPELHERR. Er hätt' in diesem Wahne nicht das Kind

Bloß auferzogen? Ließ das Mädchen noch

In diesem Wahne?

DAJA.  Leider!

TEMPELHERR.  Nathan – Wie? –

Der weise gute Nathan hätte sich

Erlaubt, die Stimme der Natur so zu

Verfälschen? – Die Ergießung eines Herzens

So zu verlenken, die, sich selbst gelassen,

Ganz andre Wege nehmen würde? – Daja,

Ihr habt mir allerdings etwas vertraut –

Von Wichtigkeit, – was Folgen haben kann, –

Was mich verwirrt, worauf ich gleich nicht weiß,

Was mir zu tun. – Drum laßt mir Zeit. – Drum geht!

Er kömmt hier wiederum vorbei. Er möcht'

Uns überfallen. Geht!

DAJA.     Ich wär' des Todes!

TEMPELHERR.

Ich bin ihn itzt zu sprechen ganz und gar

Nicht fähig. Wenn Ihr ihm begegnet, sagt

Ihm nur, daß wir einander bei dem Sultan

Schon finden würden.

DAJA.    Aber laßt Euch ja

Nichts merken gegen ihn. – Das soll nur so

Den letzten Druck dem Dinge geben, soll

Euch, Rechas wegen, alle Skrupel nur

Benehmen! – Wenn Ihr aber dann sie nach

Europa führt: so laßt Ihr doch mich nicht

Zurück?

TEMPELHERR.

  Das wird sich finden. Geht nur, geht!

Vierter Aufzug

Erster Auftritt

 

Szene: in den Kreuzgängen des Klosters.

 

Der Klosterbruder und bald darauf der Tempelherr.

 

KLOSTERBRUDER. Ja, ja! er hat schon recht, der Patriarch!

Es hat mir freilich noch von alledem

Nicht viel gelingen wollen, was er mir

So aufgetragen. – Warum trägt er mir

Auch lauter solche Sachen auf? – Ich mag

Nicht fein sein; mag nicht überreden; mag

Mein Näschen nicht in alles stecken; mag

Mein Händchen nicht in allem haben. – Bin

Ich darum aus der Welt geschieden, ich

Für mich; um mich für andre mit der Welt

Noch erst recht zu verwickeln?

TEMPELHERR (mit Hast auf ihn zukommend).

   Guter Bruder!

Da seid Ihr ja. Ich hab Euch lange schon

Gesucht.

KLOSTERBRUDER. Mich, Herr?

TEMPELHERR.  Ihr kennt mich schon nicht mehr?

KLOSTERBRUDER.

Doch, doch! ich glaubte

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