Ungekürztes Werk "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 28)

Antwort sein auf meine Frage? ...

NATHAN.   Soll

Mich bloß entschuldigen, wenn ich die Ringe

Mir nicht getrau zu unterscheiden, die

der Vater in der Absicht machen ließ,

Damit sie nicht zu unterscheiden wären.

SALADIN.

Die Ringe! – Spiele nicht mit mir! – Ich dächte,

Daß die Religionen, die ich dir

Genannt, doch wohl zu unterscheiden wären.

Bis auf die Kleidung, bis auf Speis' und Trank!

NATHAN. Und nur von seiten ihrer Gründe nicht. –

Denn gründen alle sich nicht auf Geschichte?

Geschrieben oder überliefert! – Und

Geschichte muß doch wohl allein auf Treu

Und Glauben angenommen werden? – Nicht? –

Nun, wessen Treu und Glauben zieht man denn

Am wenigsten in Zweifel? Doch der Seinen?

Doch deren Blut wir sind? doch deren, die

Von Kindheit an uns Proben ihrer Liebe

Gegeben? die uns nie getäuscht, als wo

Getäuscht zu werden uns heilsamer war? –

Wie kann ich meinen Vätern weniger

Als du den deinen glauben? Oder umgekehrt. –

Kann ich von dir verlangen, daß du deine

Vorfahren Lügen strafst, um meinen nicht

Zu widersprechen? Oder umgekehrt.

Das nämliche gilt von den Christen. Nicht? –

SALADIN. (Bei dem Lebendigen! Der Mann hat recht.

Ich muß verstummen.)

NATHAN.  Laß auf unsre Ring'

Uns wieder kommen. Wie gesagt: die Söhne

Verklagten sich, und jeder schwur dem Richter,

Unmittelbar aus seines Vaters Hand

Den Ring zu haben. – Wie auch wahr! – Nachdem

Er von ihm lange das Versprechen schon

Gehabt, des Ringes Vorrecht einmal zu

Genießen. – Wie nicht minder wahr! – Der Vater

Beteurte jeder, könne gegen ihn

Nicht falsch gewesen sein; und eh' er dieses

Von ihm, von einem solchen lieben Vater,

Argwohnen lass': eh' müss' er seine Brüder,

So gern er sonst von ihnen nur das Beste

Bereit zu glauben sei, des falschen Spiels

Bezeihen; und er wolle die Verräter

Schon auszufinden wissen; sich schon rächen.

SALADIN.

Und nun, der Richter? – Mich verlangt zu hören,

Was du den Richter sagen lässest. Sprich!

NATHAN.

Der Richter sprach: Wenn ihr mir nun den Vater

Nicht bald zur Stelle schafft, so weis ich euch

Von meinem Stuhle. Denkt ihr, daß ich Rätsel

Zu lösen da bin? Oder harret ihr,

Bis daß der rechte Ring den Mund eröffne? –

Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring

Besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen;

Vor Gott und Menschen angenehm. Das muß

Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden

Doch das nicht können! – Nun; wen lieben zwei

Von Euch am meisten? – Macht, sagt an! Ihr schweigt?

Die Ringe wirken nur zurück? und nicht

Nach außen? Jeder liebt sich selber nur

Am meisten? – Oh, so seid ihr alle drei

Betrogene Betrüger! Eure Ringe

Sind alle drei nicht echt. Der echte Ring

Vermutlich ging verloren. Den Verlust

Zu bergen, zu ersetzen, ließ der Vater

Die drei für einen machen.

SALADIN. Herrlich! herrlich!

NATHAN.

Und also, fuhr der Richter fort, wenn ihr

Nicht meinen Rat, statt meines Spruches, wollt:

Geht nur! – Mein Rat ist aber der: ihr nehmt

Die Sache völlig wie sie liegt. Hat von

Euch jeder seinen Ring von seinem Vater:

So glaube jeder sicher seinen Ring

Den echten. – Möglich; daß der Vater nun

Die Tyrannei des einen Rings nicht länger

In seinem Hause dulden wollen! – Und gewiß;

Daß er euch alle drei geliebt, und gleich

Geliebt: indem er zwei nicht drücken mögen,

Um einen zu begünstigen. – Wohlan!

Es eifre jeder seiner unbestochnen

Von Vorurteilen freien Liebe nach!

Es strebe von euch jeder um die Wette,

Die Kraft des Steins in seinem Ring' an Tag

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