Ungekürztes Werk "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 37)

dich davon bezahlt; und leg

Auf Vorrat, wenn was übrigbleibt.

SITTAH.    Ist Nathan

Noch mit dem Tempelherrn nicht da?

SALADIN.    Er sucht

Ihn aller Orten.

SITTAH.    Sieh doch, was ich hier,

Indem mir so mein alt Geschmeide durch

Die Hände geht, gefunden.

(Ihm ein klein Gemälde zeigend.)

SALADIN.     Ha! mein Bruder!

Das ist er, ist er! – War er! war er! ah! –

Ah wackrer lieber Junge, daß ich dich

So früh verlor! Was hätt' ich erst mit dir,

An deiner Seit' erst unternommen! – Sittah,

Laß mir das Bild. Auch kenn ich's schon: er gab

Es deiner ältern Schwester, seiner Lilla,

Die eines Morgens ihn so ganz und gar

Nicht aus den Armen lassen wollt'. Es war

Der letzte, den er ausritt. – Ah, ich ließ

Ihn reiten, und allein! – Ah, Lilla starb

Vor Gram, und hat mir's nie vergeben, daß

Ich so allein ihn reiten lassen. – Er

Blieb weg!

SITTAH.    Der arme Bruder!

SALADIN.  Laß nur gut

Sein! – Einmal bleiben wir doch alle weg! –

Zudem, – wer weiß? Der Tod ist's nicht allein,

Der einem Jüngling seiner Art das Ziel

Verrückt. Er hat der Feinde mehr; und oft

Erliegt der Stärkste gleich dem Schwächsten. – Nun,

Sei wie ihm sei! – Ich muß das Bild doch mit

Dem jungen Tempelherrn vergleichen; muß

Doch sehn, wieviel mich meine Phantasie

Getäuscht.

SITTAH.

    Nur darum bring ich's. Aber gib

Doch, gib! Ich will dir das wohl sagen; das

Versteht ein weiblich Aug' am besten.

SALADIN (zu einem Türsteher, der hereintritt).

   Wer

Ist da? – der Tempelherr? – Er komm'!

SITTAH.    Euch nicht

Zu stören: ihn mit meiner Neugier nicht

Zu irren – (Sie setzt sich seitwärts auf einen Sofa und

läßt den Schleier fallen.)

SALADIN.    Gut so! gut! – (Und nun sein Ton!

Wie der wohl sein wird! – Assads Ton

Schläft auch wohl wo in meiner Seele noch!)

Vierter Auftritt

Der Tempelherr und Saladin.

TEMPELHERR. Ich, dein Gefangner, Sultan ...

SALADIN.   Mein Gefangner?

Wem ich das Leben schenke, werd ich dem

Nicht auch die Freiheit schenken?

TEMPELHERR.    Was dir ziemt

Zu tun, ziemt mir, erst zu vernehmen, nicht

Vorauszusetzen. Aber, Sultan, – Dank,

Besondern Dank dir für mein Leben zu

Beteuern, stimmt mit meinem Stand und meinem

Charakter nicht. – Es steht in allen Fällen

Zu deinen Diensten wieder.

SALADIN. Brauch es nur

Nicht wider mich! – Zwar ein paar Hände mehr,

Die gönnt' ich meinem Feinde gern. Allein

Ihm so ein Herz auch mehr zu gönnen, fällt

Mir schwer. – Ich habe mich mit dir in nichts

Betrogen, braver junger Mann! Du bist

Mit Seel' und Leib mein Assad. Sieh! ich könnte

Dich fragen: wo du denn die ganze Zeit

Gesteckt? in welcher Höhle du geschlafen?

In welchem Ginnistan, von welcher guten

Div diese Blume fort und fort so frisch

Erkalten worden? Sieh! ich könnte dich

Erinnern wollen, was wir dort und dort

Zusammen ausgeführt. Ich könnte mit

Dir zanken, daß du ein Geheimnis doch

Vor mir gehabt! Ein Abenteuer mir

Doch unterschlagen: – Ja das könnt' ich; wenn

Ich dich nur säh', und nicht auch mich. – Nun, mag's!

Von dieser süßen Träumerei ist immer

Doch so viel wahr, daß mir in meinem Herbst

Ein Assad wieder blühen soll. – Du bist

Es doch zufrieden, Ritter?

TEMPELHERR.   Alles, was

Von dir mir kömmt, – sei was es will – das lag

Als Wunsch in meiner Seele.

SALADIN.  Laß uns das

Sogleich versuchen. – Bliebst du wohl bei mir?

Um mir? – Als Christ, als Muselmann: gleichviel!

Im weißen Mantel, oder

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