Ungekürztes Werk "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 39)

Nathan...

TEMPELHERR.

Der Aberglauben schlimmster ist, den seinen

Für den erträglichern zu halten ...

SALADIN.  Mag

Wohl sein! Doch Nathan ...

TEMPELHERR.    Dem allein

Die blöde Menschheit zu vertrauen, bis

Sie hellern Wahrheitstag gewöhne; dem

Allein ...

SALADIN.    Gut! Aber Nathan! – Nathans Los

Ist diese Schwachheit nicht.

TEMPELHERR.    So dacht' ich auch! ...

Wenn gleichwohl dieser Ausbund aller Menschen

So ein gemeiner Jude wäre, daß

Er Christenkinder zu bekommen suche,

Um sie als Juden aufzuziehn: – wie dann?

SALADIN.

Wer sagt ihm so was nach?

TEMPELHERR.   Das Mädchen selbst,

Mit welcher er mich körnt, mit deren Hoffnung

Er gern mir zu bezahlen schiene, was

Ich nicht umsonst für sie getan soll haben: –

Dies Mädchen selbst ist seine Tochter – nicht;

ist ein verzettelt Christenkind.

SALADIN.  Das er

Dem ungeachtet dir nicht geben wollte?

TEMPELHERR (heftig).

Woll' oder wolle nicht! Er ist entdeckt.

Der tolerante Schwätzer ist entdeckt!

Ich werde hinter diesen jüd'schen Wolf

Im philosoph'schen Schafpelz Hunde schon

Zu bringen wissen, die ihn zausen sollen!

SALADIN (ernst).

Sei ruhig, Christ!

TEMPELHERR.    Was? ruhig Christ? – Wenn Jud'

Und Muselmann, auf Jud', auf Muselmann

Bestehen: soll allein der Christ den Christen

Nicht machen dürfen?

SALADIN (noch ernster).    Ruhig, Christ!

TEMPELHERR (gelassen).    Ich fühle

Des Vorwurfs ganze Last, – die Saladin

In diese Silbe preßt! Ah, wenn ich wüßte,

Wie Assad, – Assad sich an meiner Stelle

Hierbei genommen hätte!

SALADIN.       Nicht viel besser! –

Vermutlich ganz so brausend! – Doch, wer hat

Denn dich auch schon gelehrt, mich so wie er

Mit einem Worte zu bestechen? Freilich

Wenn alles sich verhält, wie du mir sagest:

Kann ich mich selber kaum in Nathan finden. –

Indes, er ist mein Freund, und meiner Freunde

Muß keiner mit dem andern hadern. – Laß

Dich weisen! Geh behutsam! Gib ihn nicht

Sofort den Schwärmern deines Pöbels preis!

Verschweig, was deine Geistlichkeit, an ihm

Zu rächen, mir so nahe legen würde!

Sei keinem Juden, keinem Muselmanne

Zum Trotz ein Christ!

TEMPELHERR.    Bald wär's damit zu spät!

Doch dank der Blutbegier des Patriarchen,

Des Werkzeug mir zu werden graute!

SALADIN.   Wie?

Du kamst zum Patriarchen eher, als

Zu mir?

TEMPELHERR. Im Sturm der Leidenschaft, im Wirbel

Der Unentschlossenheit! – Verzeih! – Du wirst

Von deinem Assad, fürcht ich, ferner nun

Nichts mehr in mir erkennen wollen.

SALADIN.  Wär'

Es diese Furcht nicht selbst! Mich dünkt, ich weiß,

Aus welchen Fehlern unsre Tugend keimt.

Pfleg diese ferner nur, und jene sollen

Bei mir dir wenig schaden. – Aber geh!

Such du nun Nathan, wie er dich gesucht;

Und bring ihn her. Ich muß euch doch zusammen

Verständigen. – Wär' um das Mädchen dir

Im Ernst zu tun: sei ruhig. Sie ist dein!

Auch soll es Nathan schon empfinden, daß

Er ohne Schweinefleisch ein Christenkind

Erziehen dürfen! – Geh!

(Der Tempelherr geht ab, und Sittah verläßt den Sofa.)

Fünfter Auftritt

Saladin und Sittah.

SITTAH.  Ganz sonderbar!

SALADIN. Gelt, Sittah? Muß mein Assad nicht ein braver,

Ein schöner junger Mann gewesen sein?

SITTAH. Wenn er so war, und nicht zu diesem Bilde

Der Tempelherr vielmehr gesessen! – Aber

Wie hast du doch vergessen können dich

Nach seinen Eltern zu erkundigen?

SALADIN. Und insbesondre wohl nach seiner Mutter?

Ob seine Mutter hierzulande nie

Gewesen sei? – Nicht wahr?

SITTAH.     Das machst du gut!

SALADIN. Oh, möglicher wär' nichts! Denn Assad war

Bei hübschen Christendamen so willkommen,

Auf hübsche Christendamen so erpicht,

Daß einmal gar die Rede ging – Nun, nun;

Man spricht nicht gern davon. – Genug; ich hab

Ihn wieder! – will mit allen seinen Fehlern,

Mit allen Launen seines weichen Herzens

Ihn wieder haben! – Oh!

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