Ungekürztes Werk "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 40)

das Mädchen muß

Ihm Nathan geben. Meinst du nicht?

SITTAH.   Ihm geben?

Ihm lassen!

SALADIN. Allerdings! Was hätte Nathan,

Sobald er nicht ihr Vater ist, für Recht

Auf sie? Wer ihr das Leben so erhielt,

Tritt einzig in die Rechte des, der ihr

Es gab.

SITTAH.   Wie also, Saladin? wenn du

Nur gleich das Mädchen zu dir nähmst? Sie nur

Dem unrechtmäßigen Besitzer gleich

Entzögest?

SALADIN.    Täte das wohl not?

SITTAH.  Not nun

Wohl eben nicht! – Die liebe Neubegier

Treibt mich allein, dir diesen Rat zu geben.

Denn von gewissen Männern mag ich gar

Zu gern, so bald wie möglich, wissen, was

Sie für ein Mädchen lieben können.

SALADIN.  Nun,

So schick und laß sie holen.

SITTAH. Darf ich, Bruder?

SALADIN. Nur schone Nathans! Nathan muß durchaus

Nicht glauben, daß man mit Gewalt ihn von

Ihr trennen wolle.

SITTAH.  Sorge nicht.

SALADIN.  Und ich,

Ich muß schon selbst sehn, wo Al-Hafi bleibt.

Sechster Auftritt

Szene: die offne Flur in Nathans Hause, gegen die Palmen zu; wie im ersten Auftritte des ersten Aufzuges. Ein Teil der Waren und Kostbarkeiten liegt ausgekramt, deren ebendaselbst gedacht wird.

Nathan und Daja.

DAJA. Oh, alles herrlich! alles auserlesen!

Oh, alles – wie nur Ihr es geben könnt.

Wo wird der Silberstoff mit goldnen Ranken

Gemacht? Was kostet er? – Das nenn ich noch

Ein Brautkleid! Keine Königin verlangt

Es besser.

NATHAN.   Brautkleid? Warum Brautkleid eben?

DAJA. Je nun! Ihr dachtet daran freilich nicht,

Als Ihr ihn kauftet. – Aber wahrlich, Nathan,

Der und kein andrer muß es sein! Er ist

Zum Brautkleid wie bestellt. Der weiße Grund;

Ein Bild der Unschuld: und die goldnen Ströme,

Die allerorten diesen Grund durchschlängeln;

Ein Bild des Reichtums. Seht Ihr? Allerliebst!

NATHAN. Was witzelst du mir da? Von wessen Brautkleid

Sinnbilderst du mir so gelehrt? – Bist du

Denn Braut?

DAJA.  Ich?

NATHAN. Nun wer denn?

DAJA.     Ich? – lieber Gott!

NATHAN. Wer denn? Von wessen Brautkleid sprichst du denn? –

Das alles ist ja dein, und keiner andern.

DAJA. Ist mein? Soll mein sein? – Ist für Recha nicht?

NATHAN. Was ich für Recha mitgebracht, das liegt

In einem andern Ballen. Mach! nimm weg!

Trag deine Siebensachen fort!

DAJA. Versucher!

Nein, wären es die Kostbarkeiten auch

Der ganzen Welt! Nicht rühr an! wenn Ihr mir

Vorher nicht schwört, von dieser einzigen

Gelegenheit, dergleichen Euch der Himmel

Nicht zweimal schicken wird, Gebrauch zu machen.

NATHAN. Gebrauch? von was? – Gelegenheit? wozu?

DAJA. O stellt Euch nicht so fremd! – Mit kurzen Worten!

Der Tempelherr liebt Recha: gebt sie ihm,

So hat doch einmal Eure Sünde, die

Ich länger nicht verschweigen kann, ein Ende.

So kömmt das Mädchen wieder unter Christen;

Wird wieder, was sie ist; ist wieder, was

Sie ward: und Ihr, Ihr habt mit all dem Guten,

Das wir Euch nicht genug verdanken können,

Nicht Feuerkohlen bloß auf Euer Haupt

Gesammelt.

NATHAN. Doch die alte Leier wieder? –

Mit einer neuen Saite nur bezogen,

Die, fürcht ich, weder stimmt noch hält.

DAJA.  Wieso?

NATHAN. Mir wär' der Tempelherr schon recht. Ihm gönnt'

Ich Recha mehr als einem in der Welt.

Allein ... Nun, habe nur Geduld.

DAJA.    Geduld?

Geduld ist Eure alte Leier nun

Wohl nicht?

NATHAN.  Nur wenig Tage noch Geduld! ...

Sieh doch! – Wer kömmt denn dort?

Ein Klosterbruder?

Geh, frag ihn was er will.

DAJA.   Was wird er wollen?

(Sie geht auf ihn zu und fragt.)

NATHAN. So gib! – und eh' er bittet. – (Wüßt' ich nur

Dem Tempelherrn erst beizukommen, ohne

Die Ursach' meiner Neugier ihm zu sagen!

Denn wenn ich sie

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