Ungekürztes Werk "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 42)

Euch damit

Nicht in Darun?

NATHAN.    Ganz recht!

KLOSTERBRUDER.    Es wär' kein Wunder,

Wenn mein Gedächtnis mich betrög'. Ich habe

Der braven Herrn so viel gehabt; und diesem

Hab ich nur gar zu kurze Zeit gedient.

Er blieb bald drauf bei Askalon: und war

Wohl sonst ein lieber Herr.

NATHAN. Ja wohl! ja wohl!

Dem ich so viel, so viel zu danken habe!

Der mehr als einmal mich dem Schwert entrissen!

KLOSTERBRUDER.

O schön! So werd't Ihr seines Töchterchens

Euch um so lieber angenommen haben.

NATHAN. Das könnt Ihr denken.

KLOSTERBRUDER. Nun, wo ist es denn?

Es ist doch wohl nicht etwa gar gestorben?

Laßt's lieber nicht gestorben sein! – Wenn sonst

Nur niemand um die Sache weiß: so hat

Es gute Wege.

NATHAN.    Hat es?

KLOSTERBRUDER.   Traut mir, Nathan!

Denn seht, ich denke so! Wenn an das Gute,

Das ich zu tun vermeine, gar zu nah

Was gar zu Schlimmes grenzt: so tu ich lieber

Das Gute nicht; weil wir das Schlimme zwar

So ziemlich zuverlässig kennen, aber

Bei weiten nicht das Gute. – War ja wohl

Natürlich; wenn das Christentöchterchen

Recht gut von Euch erzogen werden sollte:

Daß Ihr's als Euer eigen Töchterchen

Erzögt. – Das hättet Ihr mit aller Lieb'

Und Treue nun getan, und müßtet so

Belohnet werden? Das will mir nicht ein.

Ei freilich, klüger hättet Ihr getan;

Wenn Ihr die Christin durch die zweite Hand

Als Christin auferziehen lassen: aber

So hättet Ihr das Kindchen Eures Freunds

Auch nicht geliebt. Und Kinder brauchen Liebe,

Wär's eines wilden Tieres Lieb' auch nur,

In solchen Jahren mehr, als Christentum.

Zum Christentume hat's noch immer Zeit.

Wenn nur das Mädchen sonst gesund und fromm

Vor Euern Augen aufgewachsen ist,

So blieb's vor Gottes Augen, was es war.

Und ist denn nicht das ganze Christentum

Aufs Judentum gebaut? Es hat mich oft

Geärgert, hat mir Tränen g'nug gekostet,

Wenn Christen gar so sehr vergessen konnten,

Daß unser Herr ja selbst ein Jude war.

NATHAN.

Ihr, guter Bruder, müßt mein Fürsprach sein,

Wenn Haß und Gleisnerei sich gegen mich

Erheben sollten, – wegen einer Tat –

Ah, wegen einer Tat! – Nur Ihr, Ihr sollt

Sie wissen! – Nehmt sie aber mit ins Grab!

Noch hat mich nie die Eitelkeit versucht,

Sie jemand andern zu erzählen. Euch

Allein erzähl ich sie. Der frommen Einfalt

Allein erzähl ich sie. Weil die allein

Versteht, was sich der gottergebne Mensch

Für Taten abgewinnen kann.

KLOSTERBRUDER.    Ihr seid

Gerührt, und Euer Auge steht voll Wasser?

NATHAN. Ihr traft mich mit dem Kinde zu Darun.

Ihr wißt wohl aber nicht, daß wenig Tage

Zuvor, in Gath die Christen alle Juden

Mit Weib und Kind ermordet hatten; wißt

Wohl nicht, daß unter diesen meine Frau

Mit sieben hoffnungsvollen Söhnen sich

Befunden, die in meines Bruders Hause,

Zu dem ich sie geflüchtet, insgesamt

Verbrennen müssen.

KLOSTERBRUDER.   Allgerechter!

NATHAN.      Als

Ihr kamt, hatt' ich drei Tag' und Nächt' in Asch'

Und Staub vor Gott gelegen, und geweint. –

Geweint? Beiher mit Gott auch wohl gerechtet,

Gezürnt, getobt, mich und die Welt verwünscht;

Der Christenheit den unversöhnlichsten

Haß zugeschworen –

KLOSTERBRUDER.   Ach! Ich glaub's Euch wohl!

NATHAN. Doch nun kam die Vernunft allmählich wieder.

Sie sprach mit sanfter Stimm': »und doch ist Gott!

Doch war auch Gottes Ratschluß das! Wohlan!

Komm! übe, was du längst begriffen hast,

Was sicherlich zu üben schwerer nicht,

Als zu begreifen ist, wenn du nur willst.

Steh auf!« – Ich stand! und rief zu Gott: ich will!

Willst du nur, daß ich will! – Indem stiegt Ihr

Vom Pferd, und überreichtet mir das Kind,

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