Ungekürztes Werk "Die Räuber" von Friedrich Schiller (Seite 29)
(lallend). Mein Fluch ihn gejagt in den Tod, gefallen mein Sohn in Verzweiflung! –
Hermann. Den Jammer steh ich nicht aus. Lebt wohl, alter Herr! (Leise zu Franz.) Warum habt Ihr auch das gemacht, Junker? (Geht schnell ab.)
Amalia (aufspringend, ihm nach). Bleib, bleib! Was waren seine letzten Worte?
Hermann (zurückrufend). Sein letzter Seufzer war Amalia. (Ab.)
Amalia. Sein letzter Seufzer war Amalia! – Nein, du bist kein Betrüger! So ist es wahr – wahr – er ist tot! – tot! – (hin- und hertaumelnd, bis sie umsinkt) tot – Karl ist tot –
Franz. Was seh ich? Was steht da auf dem Schwert? geschrieben mit Blut – Amalia!
Amalia. Von ihm?
Franz. Seh ich recht oder träum ich? Siehe da mit blutiger Schrift:
Franz, verlaß meine Amalia nicht! Sieh doch, sieh doch! und auf der andern Seite: Amalia! Deinen Eid zerbrach der allgewaltige Tod. – Siehst du nun, siehst du nun? Er schrieb’s mit erstarrender Hand, schrieb’s mit dem warmen Blut seines Herzens, schrieb’s an der Ewigkeit feierlichem Rande! Sein fliehender Geist verzog, Franz und Amalia noch zusammenzuknüpfen.
Amalia. Heiliger Gott! Es ist seine Hand. – Er hat mich nie geliebt! (Schnell ab.)
Franz (auf den Boden stampfend). Verzweifelt! Meine ganze Kunst erliegt an dem Starrkopf.
Der Alte Moor. Wehe, Wehe! Verlaß mich nicht, meine Tochter! – Franz, Franz! gib mir meinen Sohn wieder!
Franz. Wer war’s, der ihm den Fluch gab? Wer war’s, der seinen Sohn jagte in Kampf und Tod und Verzweiflung? – O! er war ein Engel! ein Kleinod des Himmels! Fluch über seine Henker! Fluch, Fluch über Euch selber! –
Der Alte Moor (schlägt mit geballter Faust wider Brust und Stirne). Er war ein Engel, war Kleinod des Himmels! Fluch, Fluch, Verderben, Fluch über mich selber! Ich bin der Vater, der seinen großen Sohn erschlug. Mich liebt’ er bis in den Tod! Mich zu rächen, rannte er in Kampf und Tod! Ungeheuer, Ungeheuer! (Wütet wider sich selber.)
Franz. Er ist dahin, was helfen späte Klagen? (Höhnisch lachend.) Es ist leichter morden, als lebendig machen. Ihr werdet ihn nimmer aus seinem Grabe zurückholen.
Der Alte Moor. Nimmer, nimmer, nimmer aus dem Grabe zurückholen! Hin, verloren auf ewig! – Und du hast mir den Fluch aus dem Herzen geschwätzt, du – du – meinen Sohn mir wieder!
Franz. Reizt meinen Grimm nicht! ich verlaß Euch im Tode! –
Der Alte Moor. Scheusal! Scheusal! Schaff mir meinen Sohn wieder! (Fährt aus dem Sessel, will Franzen an der Gurgel fassen, der ihn zurückschleudert.)
Franz. Kraftlose Knochen! Ihr wagt es – Sterbt! Verzweifelt! (Ab.)
Der Alte Moor. Tausend Flüche donnern dir nach! Du hast mir meinen Sohn aus den Armen gestohlen. (Voll Verzweiflung hin- und hergeworfen im Sessel.) Wehe, Wehe! Verzweifeln, aber nicht sterben! – Sie fliehen, verlassen mich im Tode – meine guten Engel fliehen von mir, weichen alle die Heilige vom eisgrauen Mörder. – Wehe! Wehe! Will mir keiner das Haupt halten, will keiner die ringende Seele entbinden? Keine Söhne! keine Töchter! keine Freunde! Menschen nur – will keiner, allein – verlassen. – Wehe! Wehe! – Verzweifeln, aber nicht sterben!
Amalia mit verweinten Augen.
Der Alte Moor. Amalia!