Ungekürztes Werk "Die Räuber" von Friedrich Schiller (Seite 57)

und niemand meines Wissens um des Hellers Wert im Leben vervorteilt, und hab an meinem Glauben gehalten treu und redlich, und hab in Eurem Hause gedienet vierundvierzig Jahre, und erwarte itzt ein ruhig seliges Ende, ach Herr, Herr!! (umfaßt seine Knie heftig) und Ihr wollt mir den letzten Trost rauben im Sterben, daß der Wurm des Gewissens mich um mein letztes Gebet bringe, daß ich ein Greuel vor Gott und Menschen schlafen gehen soll? Nein, nein, mein liebster, bester, liebster gnädiger Herr, das wollt Ihr nicht, das könnt Ihr nicht wollen von einem einundsiebenzigjährigen Manne.

FRANZ. Ja oder Nein! Was soll das Geplapper?

DANIEL. Ich will Euch von nun an noch eifriger dienen, will meine dürren Sehnen in Eurem Dienst wie ein Taglöhner abarbeiten, will früher aufstehen, will später mich niederlegen – ach, und will Euch einschließen in mein Abend- und Morgengebet, und Gott wird das Gebet eines alten Mannes nicht wegwerfen.

FRANZ. Gehorsam ist besser denn Opfer. Hast du je gehört, daß sich der Henker zierte, wenn er ein Urteil vollstrecken sollte?

DANIEL. Ach ja wohl! Aber eine Unschuld erwürgen – einen –

FRANZ. Bin ich dir etwa Rechenschaft schuldig? Darf das Beil den Henker fragen, warum dahin und nicht dorthin? – Aber sieh, wie langmütig ich bin – ich biete dir eine Belohnung für das, was du mir huldigtest.

DANIEL. Aber ich hoffte, ein Christe bleiben zu dürfen, da ich Euch huldigte.

FRANZ. Keine Widerrede! Siehe, ich gebe dir einen ganzen Tag noch Bedenkzeit! Überlege es nochmals. Glück und Unglück – hörst du, verstehst du? Das höchste Glück und das äußerste Unglück! Ich will Wunder tun im Peinigen.

DANIEL (nach einigem Nachdenken). Ich will’s tun, morgen will ich’s tun. (Ab.)

FRANZ. Die Versuchung ist stark, und der war wohl nicht zum Märtyrer seines Glaubens geboren – Wohl bekomm’s dann, Herr Graf! Allem Ansehen nach werden Sie morgen abend ihr Henkermahl halten! – Es kommt alles nur darauf an, wie man davon denkt, und der ist ein Narr, der wider seine Vorteile denkt! Den Vater, der vielleicht eine Bouteille Wein weiter getrunken hat, kommt der Kitzel an – und draus wird ein Mensch, und der Mensch war gewiß das letzte, woran bei der ganzen Herkulesarbeit gedacht wird. Nun kommt mich eben auch der Kitzel an – und dran krepiert ein Mensch, und gewiß ist hier mehr Verstand und Absicht, als dort bei seinem Entstehen war – Hängt nicht das Dasein der meisten Menschen mehrenteils an der Hitze eines Juliusmittags, oder am anziehenden Anblick eines Bettuchs, oder an der waagrechten Lage einer schlafenden Küchengrazie, oder an einem ausgelöschten Licht? – Ist die Geburt des Menschen das Werk einer viehischen Anwandlung, eines Ungefährs, wer sollte wegen der Verneinung seiner Geburt sich einkommen lassen, an ein bedeutendes Etwas zu denken? Verflucht sei die Torheit unserer Ammen und Wärterinnen, die unsere Phantasie mit schrecklichen Märchen verderben und gräßliche Bilder von Strafgerichten in unser weiches Gehirnmark drücken, daß unwillkürliche Schauder die Glieder des Mannes noch in frostige Angst rütteln, unsere kühnste Entschlossenheit sperren, unsere erwachende Vernunft an Ketten abergläubischer Finsternis legen. – Mord!

Seiten