Ungekürztes Werk "Die Räuber" von Friedrich Schiller (Seite 58)
wie eine ganze Hölle von Furien um das Wort flattert. – Die Natur vergaß, einen Mann mehr zu machen – die Nabelschnur ist nicht unterbunden worden – der Vater hat in der Hochzeitsnacht glatten Leib bekommen – und die ganze Schattenspielerei ist verschwunden. Es war etwas und wird nichts – Heißt es nicht ebensoviel als: es war nichts und wird nichts und um nichts wird kein Wort mehr gewechselt. – Der Mensch entsteht aus Morast und watet eine Weile im Morast und macht Morast und gärt wieder zusammen in Morast, bis er zuletzt an den Schuhsohlen seines Urenkels unflätig anklebt. Das ist das Ende vom Lied – der morastige Zirkel der menschlichen Bestimmung, und somit – glückliche Reise, Herr Bruder! Der milzsüchtige, podagrische Moralist von einem Gewissen mag runzligte Weiber aus Bordellen jagen und alte Wucherer auf dem Todesbett foltern – bei mir wird er nimmermehr Audienz bekommen. (Er geht ab.)
Dritte Szene
Andres Zimmer im Schloß.
Räuber Moor von der einen Seite, Daniel von der andern.
MOOR (hastig). Wo ist das Fräulein?
DANIEL. Gnädiger Herr! Erlaubt einem armen Mann, Euch um etwas zu bitten.
MOOR. Es ist dir gewährt. Was willst du?
DANIEL. Nicht viel und alles, so wenig und doch so viel – laßt mich Eure Hand küssen!
MOOR. Das sollst du nicht, guter Alter! (umarmt ihn) den ich Vater nennen möchte.
DANIEL. Eure Hand, Eure Hand! ich bitt Euch.
MOOR. Du sollst nicht.
DANIEL. Ich muß! (Er greift sie, betrachtet sie schnell und fällt vor ihm nieder.) Lieber, bester Karl!
MOOR (erschrickt, faßt sich, fremd). Freund, was sagst du? Ich verstehe dich nicht.
DANIEL. Ja, leugnet es nur, verstellt Euch! Schön, schön! Ihr seid immer mein bester, köstlicher Junker! – Lieber Gott! daß ich alter Mann noch die Freude – dummer Tölpel ich, daß ich Euch nicht gleich – Ei du himmlischer Vater! So seid ihr ja wiedergekommen, und der alte Herr ist unterm Boden, und da seid Ihr ja wieder – was für ein blinder Esel ich doch war (sich vor den Kopf schlagend), daß ich Euch nicht im ersten Hui – Ei du mein! Wer hätte sich das träumen lassen! – Um was ich mit Tränen betete, – Jesus Christus! Da steht er ja leibhaftig wieder in der alten Stube!
MOOR. Was ist das für eine Sprache? Seid Ihr vom hitzigen Fieber aufgesprungen, oder wollt Ihr eine Komödienrolle an mir probieren?
DANIEL. Ei pfui doch, pfui doch! Das ist nicht fein, einen alten Knecht so zum Besten haben – Diese Narbe! He, wißt Ihr noch? – Großer Gott! Was Ihr mir da für eine Angst einjagtet. – Ich hab Euch immer so lieb gehabt, und was Ihr mir da für Herzeleid hättet anrichten können – Ihr saßt mir im Schoß – wißt Ihr noch? – Dort in der runden Stube – Gelt, Vogel? Das habt Ihr freilich vergessen – auch den Kuckuck, den Ihr so gern hörtet – denkt doch! der Kuckuck ist zerschlagen, in Grundsboden geschlagen – die alte Susel hat ihn verwettert, wie sie die Stube fegte – ja freilich, und da saßt Ihr mir