Ungekürztes Werk "Die Räuber" von Friedrich Schiller (Seite 60)

Steh auf! Sage mir, was macht meine Amalia?

DANIEL. Gottes Lohn! Gottes Lohn! Ei Herr Jerem! – Eure Amalia, o, die wird’s nicht überleben, die wird sterben vor Freude!

MOOR (heftig). Sie vergaß mich nicht?

DANIEL. Vergessen? Wie schwätzt Ihr wieder? Euch vergessen? – Da hättet Ihr sollen dabei sein, hättet’s sollen mit ansehen, wie sie sich gebärdete, als die Zeitung kam, Ihr wärt gestorben, die der gnädige Herr ausstreuen ließ –

MOOR. Was sagst du? Mein Bruder –

DANIEL. Ja, Euer Bruder, der gnädige Herr, Euer Bruder – ich will Euch ein andermal mehr davon erzählen, wenn’s Zeit darzu ist – und wie sauber sie ihm abkappte, wenn er ihr alle Tage, die Gott schickt, seinen Antrag machte, und sie zur gnädigen Frau machen wollte. O, ich muß hin, muß hin, ihr sagen, ihr die Botschaft bringen! (Will fort.)

MOOR. Halt, halt! Sie darf’s nicht wissen, darf’s niemand wissen, auch mein Bruder nicht –

DANIEL. Euer Bruder? Nein, beileibe nicht, er darf’s nicht wissen! Er gar nicht! – Wenn er nicht schon mehr weiß, als er wissen darf. – O, ich sage Euch, es gibt garstige Menschen, garstige Brüder, garstige Herren – aber ich möcht um alles Gold meines Herrn willen kein garstiger Knecht sein – der gnädige Herr hielt Euch tot.

MOOR. Hum! Was brummst du da?

DANIEL (leiser). Und wenn man freilich so ungebeten aufersteht – Euer Bruder war des Herrn selig einziger Erbe –

MOOR. Alter! – Was murmelst du da zwischen den Zähnen, als wenn irgendein Ungeheuer von Geheimnis auf deiner Zunge schwebte, das nicht heraus wollte und doch heraus sollte? Rede deutlicher!

DANIEL. Aber ich will lieber meine alten Knochen abnagen vor Hunger, lieber vor Durst mein eigenes Wasser saufen, als Wohlleben die Fülle verdienen mit einem Totschlag. (Schnell ab.)

MOOR (auffahrend aus schrecklichem Pausen). Betrogen, betrogen! da fährt es über meine Seele wie der Blitz! – Spitzbübische Künste! Himmel und Hölle! Nicht du, Vater! Spitzbübische Künste! Mörder, Räuber durch spitzbübische Künste! Angeschwärzt von ihm! verfälscht, unterdrückt meine Briefe, – voll Liebe sein Herz – o ich Ungeheuer von einem Toren – voll Liebe sein Vaterherz – o Schelmerei, Schelmerei! Es hätte mich einen Fußfall gekostet, es hätte mich eine Träne gekostet – o ich blöder, blöder, blöder Tor! – (Wider die Wand rennend.) Ich hätte glücklich sein können – o Büberei, Büberei! das Glück meines Lebens bübisch, bübisch hinwegbetrogen. (Er läuft wütend auf und nieder.) Mörder, Räuber durch spitzbübische Künste! – Er grollte nicht einmal. Nicht ein Gedanke von Fluch in seinem Herzen – O Bösewicht! unbegreiflicher, schleichender, abscheulicher Bösewicht!

Kosinsky kommt.

KOSINSKY. Nun, Hauptmann, wo stickst du? Was ist’s? Du willst noch länger hier bleiben, merk ich?

MOOR. Auf! Sattle die Pferde! Wir müssen vor Sonnenuntergang noch über den Grenzen sein!

KOSINSKY. Du spaßest.

MOOR (befehlend). Hurtig, hurtig! Zaudere nicht lang, laß alles da! und daß kein Aug dich gewahr wird. (Kosinsky ab.)

Ich fliehe aus diesen Mauren. Der geringste Verzug könnte mich wütig machen, und er ist meines Vaters Sohn. – Bruder, Bruder! Du hast mich zum Elendesten auf Erden gemacht, ich habe dich niemals beleidigt, es war

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