Ungekürztes Werk "Die Räuber" von Friedrich Schiller (Seite 62)

– Hier durchirrte sein Aug die um ihn prangende Gegend – sie schien den großen belohnenden Blick zu empfinden und sich unter dem Wohlgefallen ihres Meisterbilds zu verschönern. – Hier hielt er mit himmlischer Musik die Hörer der Lüfte gefangen – hier an diesem Busch pflückte er Rosen, und pflückte die Rosen für mich – hier, hier lag er an meinem Halse, brannte sein Mund auf dem meinen, und die Blumen starben gern unter der Liebenden Fußtritt –

MOOR. Er ist nicht mehr?

AMALIA. Er segelt auf ungestümen Meeren – Amalias Liebe segelt mit ihm. – Er wandelt durch ungebahnte sandigte Wüsten – Amalias Liebe macht den brennenden Sand unter ihm grünen und die wilden Gesträuche blühen. – Der Mittag sengt sein entblößtes Haupt, nordischer Schnee schrumpft seine Sohlen zusammen, stürmischer Hagel regnet um seine Schläfe, und Amalias Liebe wiegt ihn in Stürmen ein – Meere und Berge und Horizonte zwischen den Liebenden – aber die Seelen versetzen sich aus dem staubigten Kerker und treffen sich im Paradiese der Liebe. – Sie scheinen traurig, Herr Graf?

MOOR. Die Worte der Liebe machen auch meine Liebe lebendig.

AMALIA (blaß). Was? Sie lieben eine andere? – Weh mir! Was hab ich gesagt?

MOOR. Sie glaubte mich tot und blieb treu dem Totgeglaubten – sie hörte wieder, ich lebe, und opferte mir die Krone einer Heiligen auf. Sie weiß mich in Wüsten irren und im Elend herumschwärmen, und ihre Liebe fliegt durch Wüsten und Elend mir nach. Auch heißt sie Amalia, wie Sie, gnädiges Fräulein.

AMALIA. Wie beneid ich Ihre Amalia!

MOOR. O, sie ist ein unglückliches Mädchen; ihre Liebe ist für einen, der verloren ist, und wird – ewig niemals belohnt.

AMALIA. Nein, sie wird im Himmel belohnt. Sagt man nicht, es gebe eine bessere Welt, wo die Traurigen sich freuen, und die Liebenden sich wiedererkennen?

MOOR. Ja, eine Welt, wo die Schleier hinwegfallen, und die Liebe sich schrecklich wiederfindet – Ewigkeit heißt ihr Name – meine Amalia ist ein unglückliches Mädchen.

AMALIA. Unglücklich, und Sie lieben?

MOOR. Unglücklich, weil sie mich liebt! Wie, wenn ich ein Totschläger wäre? Wie, mein Fräulein, wenn Ihr Geliebter Ihnen für jeden Kuß einen Mord aufzählen könnte? Wehe meiner Amalia! Sie ist ein unglückliches Mädchen.

AMALIA (froh aufhüpfend). Ha! wie bin ich ein glückliches Mädchen! Mein Einziger ist Nachstrahl der Gottheit, und die Gottheit ist Huld und Erbarmen! Nicht eine Fliege konnt er leiden sehen. – Seine Seele ist so fern von einem blutigen Gedanken, als fern der Mittag von der Mitternacht ist.

MOOR (kehrt sich schnell ab in ein Gebüsch, blickt starr in die Gegend).

AMALIA (singt und spielt auf der Laute).

Willst dich, Hektor, ewig mir entreißen,

Wo des Äaciden mordend Eisen

Dem Patroklus schrecklich Opfer bringt?

Wer wird künftig deinen Kleinen lehren

Speere werfen und die Götter ehren,

Wenn hinunter dich der Xanthus schlingt?

MOOR (nimmt die Laute stillschweigend und spielt).

Teures Weib, geh, hol die Todeslanze! –

Laß – mich fort – zum wilden Kriegestanze –

 

Er wirft die Laute weg und flieht davon.

Fünfte Szene

Nahgelegener Wald. Nacht.

Ein altes verfallenes Schloß in der

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