Ungekürztes Werk "Die Räuber" von Friedrich Schiller (Seite 61)
nicht brüderlich gehandelt. – Ernte die Früchte deiner Untat in Ruhe, meine Gegenwart soll dir den Genuß nicht länger vergällen – aber gewiß, es war nicht brüderlich gehandelt. Finsternis verlösche sie auf ewig, und der Tod rühre sie nicht auf!
Kosinsky.
KOSINSKY. Die Pferde stehn gesattelt, Ihr könnt aufsitzen, wenn Ihr wollt.
MOOR. Presser! Presser! Warum so eilig? Soll ich sie nicht mehr sehn?
KOSINSKY. Ich zäume gleich wieder ab, wenn Ihr’s haben wollt, Ihr hießt mich ja über Hals und Kopf eilen.
MOOR. Noch einmal! ein Lebewohl noch! ich muß den Gifttrank dieser Seligkeit vollends ausschlürfen, und dann – Halt, Kosinsky! Zehn Minuten noch – hinten am Schloßhof – und wir sprengen davon!
Vierte Szene
Im Garten.
Amalia.
AMALIA. Du weinst, Amalia? – und das sprach er mit einer Stimme! mit einer Stimme – mir war’s, als ob die Natur sich verjüngete – die genossenen Lenze der Liebe dämmerten auf mit der Stimme! Die Nachtigall schlug wie damals – die Blumen hauchten wie damals – und ich lag wonneberauscht an seinem Hals. – Ha, falsches, treuloses Herz! Wie du deinen Meineid beschönigen willst! Nein, nein, weg aus meiner Seele, du Frevelbild! – ich hab meinen Eid nicht gebrochen, du Einziger! Weg aus meiner Seele, ihr verräterischen gottlosen Wünsche! im Herzen, wo Karl herrscht, darf kein Erdensohn nisten. – Aber warum, meine Seele, so immer, so wider Willen nach diesem Fremdling? Hängt er sich nicht so hart an das Bild meines Einzigen? Ist er nicht der ewige Begleiter meines Einzigen? Du weinst, Amalia? – Ha, ich will ihn fliehen! – fliehen! – Nimmer sehen soll mein Aug diesen Fremdling!
Räuber Moor öffnet die Gartentür.
AMALIA (fährt zusammen). Horch! horch! Rauschte die Türe nicht? (Sie wird Karln gewahr und springt auf.) Er? – wohin? – was? – Da hat mich’s angewurzelt, daß ich nicht fliehen kann. – Verlaß mich nicht, Gott im Himmel! – Nein, du sollst mir meinen Karl nicht entreißen! Meine Seele hat nicht Raum für zwei Gottheiten, und ich bin ein sterbliches Mädchen! (Sie nimmt Karls Bild heraus.) Du, mein Karl, sei mein Genius wider diesen Fremdling, den Liebestörer! Dich, dich ansehen, unverwandt, – und weg alle gottlosen Blicke nach diesem! (Sie sitzt stumm – das Auge starr auf das Bild geheftet.)
MOOR. Sie da, gnädiges Fräulein? – und traurig? – und eine Träne auf diesem Gemälde? (Amalia gibt ihm keine Antwort.) – Und wer ist der Glückliche, um den sich das Aug eines Engels versilbert? Darf auch ich diesen Verherrlichten – (Er will das Gemälde betrachten.)
AMALIA. Nein, ja, nein!
MOOR (zurückfahrend). Ha! – und verdient er diese Vergötterung? Verdient er? –
AMALIA. Wenn Sie ihn gekannt hätten!
MOOR. Ich würd ihn beneidet haben.
AMALIA. Angebetet, wollen sie sagen.
MOOR. Ha!
AMALIA. O, Sie hätten ihn so lieb gehabt – es war so viel, so viel in seinem Angesicht – in seinen Augen – im Ton seiner Stimme, das Ihnen so gleich kommt – das ich so liebe –
MOOR (sieht zur Erde).
AMALIA. Hier, wo Sie stehen, stand er tausendmal – und neben ihm die, die neben ihm Himmel und Erde vergaß.