Ungekürztes Werk "Die Räuber" von Friedrich Schiller (Seite 66)
Druck dieses armseligen Dings (die Pistole vors Gesicht haltend) den Weisen dem Toren – den Feigen dem Tapfern – den Edlen dem Schelmen gleich macht? – Es ist doch eine so göttliche Harmonie in der seelenlosen Natur, warum sollte dieser Mißklang in der vernünftigen sein? – Nein! Nein! es ist etwas mehr; denn ich bin noch nicht glücklich gewesen.
Glaubt ihr, ich werde zittern? Geister meiner Erwürgten! ich werde nicht zittern. (Heftig zitternd.) – Euer banges Sterbegewinsel – Euer schwarzgewürgtes Gesicht – Eure fürchterlich klaffenden Wunden sind ja nur Glieder einer unzerbrechlichen Kette des Schicksals und hängen zuletzt an meinen Feierabenden, an den Launen meiner Ammen und Hofmeister, am Temperament meines Vaters, am Blut meiner Mutter. – (Von Schauer geschüttelt.) Warum hat mein Perillus einen Ochsen aus mir gemacht, daß die Menschheit in meinem glühenden Bauche bratet?
(Er setzt die Pistole an.) Zeit und Ewigkeit – gekettet aneinander durch ein einzig Moment! – Grauser Schlüssel, der das Gefängnis des Lebens hinter mir schließt und vor mir aufriegelt die Behausung der ewigen Nacht – sage mir – o, sage mir – wohin, wohin wirst du mich führen? – Fremdes, nie umsegeltes Land! – Siehe, die Menschheit erschlappt unter diesem Bilde, die Spannkraft des Endlichen läßt nach, und die Phantasei, der mutwillige Affe der Sinne, gaukelt unserer Leichtgläubigkeit seltsame Schatten vor. – Nein! Nein! Ein Mann muß nicht straucheln. – Sei, wie du willt, namenloses Jenseits – bleibt mir nur dieses mein Selbst getreu – Sei, wie du willt, wenn ich nur mich selbst mit hinübernehme – Außendinge sind nur der Anstrich des Mannes. – Ich bin mein Himmel und meine Hölle.
Wenn du mir irgend einen eingeäscherten Weltkreis allein ließest, den du aus deinen Augen verbannt hast, wo die einsame Nacht und die ewige Wüste meine Aussichten sind? – Ich würde dann die schweigende Öde mit meinen Phantasien bevölkern und hätte die Ewigkeit zur Muße, das verworrene Bild des allgemeinen Elends zu zergliedern. – Oder willst du mich durch immer neue Geburten und immer neue Schauplätze des Elends von Stufe zu Stufe – zur Vernichtung – führen? Kann ich nicht die Lebensfäden, die mir jenseits gewoben sind, so leicht zerreißen wie diesen? – Du kannst mich zu Nichts machen – Diese Freiheit kannst du mir nicht nehmen. (Er lädt die Pistole. Plötzlich hält er inn.) Und soll ich für Furcht eines qualvollen Lebens sterben? – Soll ich dem Elend den Sieg über mich einräumen? – Nein! ich will’s dulden! (Er wirft die Pistole weg.) Die Qual erlahme an meinem Stolz! Ich will’s vollenden.
(Es wird immer finstrer.)
HERMANN (der durch den Wald kommt). Horch! Horch! grausig heulet der Kauz – Zwölf schlägt’s drüben im Dorf – Wohl, wohl – das Bubenstück schläft – in dieser Wilde kein Lauscher. (Tritt an das Schloß und pocht.) Komm herauf, Jammermann, Turmbewohner! – Deine Mahlzeit ist bereitet.
MOOR (sachte zurücktretend). Was soll das bedeuten?
EINE STIMME (aus dem Schloß). Wer pocht da? He? Bist du’s Hermann, mein Rabe?
HERMANN. Bin’s, Hermann, dein Rabe. Steig herauf ans Gitter und iß. (Eulen schreien.) Fürchterlich