Ungekürztes Werk "Die Räuber" von Friedrich Schiller (Seite 67)

trillern deine Schlafkameraden, Alter – dir schmeckt?

DIE STIMME. Hungerte mich sehr. Habe Dank, Rabensender, fürs Brot in der Wüste! – Und wie geht’s meinem lieben Kind, Hermann?

HERMANN. Stille – Horch – Geräusch wie von Schnarchenden! Hörst du nicht was?

STIMME. Wie? Hörst du etwas?

HERMANN. Den seufzenden Windlaut durch die Ritzen des Turms – Eine Nachtmusik, davon einem die Zähn klappern und die Nägel blau werden. – Horch, noch einmal – Immer ist mir, als hört ich ein Schnarchen. – Du hast Gesellschaft, Alter – Hu! hu! hu!

STIMME. Siehst du etwas?

HERMANN. Leb wohl – leb wohl – Grausig ist diese Stätte. – Steig ab ins Loch – droben dein Helfer, dein Rächer. – Verfluchter Sohn! – (Will fliehen.)

MOOR (mit Entsetzen hervortretend). Steh!

HERMANN (schreiend). O mir!

MOOR. Steh, sag ich!

HERMANN. Weh! Weh! Weh! Nun ist alles verraten!

MOOR. Steh! Rede! Wer bist du? Was hast du hier zu tun? Rede!

HERMANN. Erbarmen, o Erbarmen, gestrenger Herr! – Nur ein Wort höret an, eh Ihr mich umbringt!

MOOR (indem er den Degen zieht). Was werd ich hören?

HERMANN. Wohl habt Ihr mir’s beim Leben verboten – ich konnt nicht anders – durft nicht anders – im Himmel ein Gott – Euer leiblicher Vater dort – mich jammerte sein – Stecht mich nieder!

MOOR. Hier steckt ein Geheimnis. – Heraus! Sprich! Ich will alles wissen.

DIE STIMME (aus dem Schloß). Weh! Weh! Bist du’s, Hermann, der da redet? Mit wem redst du, Hermann?

MOOR. Drunten noch jemand. – Was geht hier vor? (Läuft dem Turm zu.) Ist’s ein Gefangener, den die Menschen abschüttelten? – Ich will seine Ketten lösen. – Stimme! noch einmal! wo ist die Türe?

HERMANN. O, habt Barmherzigkeit, Herr – dringt nicht weiter, Herr – geht aus Erbarmen vorüber! (Verrennt ihm den Weg.)

MOOR. Vierfach geschlossen! Weg da – Es muß heraus – Itzt zum erstenmal komm mir zu Hilfe, Dieberei! (Er nimmt Brechinstrumente und öffnet das Gittertor. Aus dem Grunde steigt ein Alter, ausgemergelt wie ein Gerippe.)

DER ALTE. Erbarme einem Elenden! Erbarmen!

MOOR (springt erschrocken zurück). Das ist meines Vaters Stimme!

DER ALTE MOOR. Habe Dank, o Gott! Erschienen ist die Stunde der Erlösung.

MOOR. Geist des alten Moors! Was hat dich beunruhigt in deinem Grab? Hast du eine Sünde in jene Welt geschleppt, die dir den Eingang in die Pforte des Paradieses verrammelt? Ich will Messen lesen lassen, den irrenden Geist in seine Heimat zu senden. Hast du das Gold der Witwen und Waisen unter die Erde vergraben, das dich zu dieser mitternächtlichen Stunde heulend herumtreibt? Ich will den unterirdischen Schatz aus den Klauen des Zauberdrachen reißen, und wenn er tausend rote Flammen auf mich speit und seine spitzen Zähne gegen meinem Degen bleckt, – oder kommst du, auf meine Fragen die Rätsel der Ewigkeit zu entfalten? Rede, rede! ich bin der Mann der bleichen Furcht nicht.

DER ALTE MOOR. Ich bin kein Geist. Taste mich an, ich lebe – o, ein elendes, erbärmliches Leben!

MOOR. Was? Du bist nicht begraben worden?

DER ALTE MOOR. Ich bin begraben worden – das heißt: ein toter Hund liegt in meiner Väter Gruft; und ich – drei volle Monde

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