Ungekürztes Werk "Die Räuber" von Friedrich Schiller (Seite 69)

– die faule Luft meines Unrats, – der grenzenlose Kummer – meine Kräfte wichen, mein Leib schwand; tausendmal bat ich Gott mit Tränen um den Tod, aber das Maß meiner Strafe muß noch nicht gefüllet sein – oder muß noch irgend eine Freude meiner warten, daß ich so wunderbarlich erhalten bin. Aber ich leide gerecht. – Mein Karl! mein Karl! und er hatte noch keine grauen Haare.

MOOR. Es ist genug. Auf! Ihr Klötze, ihr Eisklumpen! Ihr trägen, fühllosen Schläfer! Auf! will keiner erwachen? (Er tut einen Pistolenschuß über die schlafenden Räuber.)

DIE RÄUBER (aufgejagt). He! holla! holla! was gibt’s da?

MOOR. Hat euch die Geschichte nicht aus dem Schlummer gerüttelt? Der ewige Schlaf würde wach worden sein! Schaut her, schaut her! die Gesetze der Welt sind Würfelspiel worden, das Band der Natur ist entzwei, die alte Zwietracht ist los, der Sohn hat seinen Vater erschlagen.

DIE RÄUBER. Was sagt der Hauptmann?

MOOR. Nein, nicht erschlagen! das Wort ist Beschönigung! – der Sohn hat den Vater tausendmal gerädert, gespießt, gefoltert, geschunden! die Worte sind mir zu menschlich – worüber die Sünde rot wird, worüber der Kannibale schaudert, worauf seit Äonen kein Teufel gekommen ist. – Der Sohn hat seinen eigenen Vater – o seht her – seht her! – er ist in Unmacht gesunken, – in dieses Gewölbe hat der Sohn seinen Vater – Frost, Blöße, – Hunger, – Durst – o seht doch, seht doch! – es ist mein eigner Vater, ich will’s nur gestehn!

DIE RÄUBER (springen herbei und umringen den Alten). Dein Vater? Dein Vater?

SCHWEIZER (tritt ehrerbietig näher, fällt vor ihm nieder). Vater meines Hauptmanns! Ich küsse dir die Füße! Du hast über meinen Dolch zu befehlen.

MOOR. Rache, Rache, Rache dir! grimmig beleidigter, entheiligter Greis! So zerreiß ich von nun an auf ewig das brüderliche Band. (Er zerreißt sein Kleid von oben an bis unten.) So verfluch ich jeden Tropfen brüderlichen Bluts im Antlitz des offenen Himmels! Höre mich, Mond und Gestirne! Höre mich, mitternächtlicher Himmel, der du auf die Schandtat herunterblicktest! Höre mich, dreimal schrecklicher Gott, der da oben über dem Monde waltet, und rächt und verdammt über den Sternen, und feuerflammt über der Nacht! Hier knie ich! – hier streck ich empor die drei Finger in die Schauer der Nacht – hier schwör ich, und so speie die Natur mich aus ihren Grenzen wie eine bösartige Bestie aus, wenn ich diesen Schwur verletze, schwör ich, das Licht des Tages nicht mehr zu grüßen, bis des Vatermörders Blut, vor diesem Steine verschüttet, gegen die Sonne dampft. (Er steht auf.)

DIE RÄUBER. Es ist ein Belialsstreich! Sag einer, wir seien Schelmen! Nein, bei allen Drachen! So bunt haben wir’s nie gemacht!

MOOR. Ja! und bei allen schrecklichen Seufzern derer, die jemals durch eure Dolche sturben, derer, die meine Flamme fraß und mein fallender Turm zermalmte, – eh soll kein Gedanke von Mord oder Raub Platz finden in eurer Brust, bis eurer aller Kleider von des Verruchten Blute scharlachrot gezeichnet sind – Das hat euch wohl niemals geträumet, daß ihr der Arm höherer Majestäten seid?

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