Ungekürztes Werk "Die Räuber" von Friedrich Schiller (Seite 70)

Der verworrene Knäuel unsers Schicksals ist aufgelöst! Heute, heute hat eine unsichtbare Macht unser Handwerk geadelt! Betet an vor dem, der euch dies erhabene Los gesprochen, der euch hieher geführt, der euch gewürdiget hat, die schröckliche Engel seines finstern Gerichts zu sein! Entblößet eure Häupter! Kniet hin in den Staub und stehet geheiliget auf! (Sie knien.)

SCHWEIZER. Gebeut, Hauptmann! Was sollen wir tun?

MOOR. Steh auf, Schweizer, und rühre diese heilige Locken an! (Er führt ihn zu seinem Vater und gibt ihm eine Locke in die Hand.) Du weißt noch, wie du einsmals jenem böhmischen Reuter den Kopf spaltetest, da er eben den Säbel über mich zuckte und ich atemlos und erschöpft von der Arbeit in die Knie gesunken war? Darzumal verhieß ich dir eine Belohnung, die königlich wäre, ich konnte diese Schuld bisher niemals bezahlen. –

SCHWEIZER. Das schwurst du mir, es ist wahr; aber laß mich dich ewig meinen Schuldner nennen!

MOOR. Nein, itzt will ich bezahlen. Schweizer, so ist noch kein Sterblicher geehrt worden wie du! – Räche meinen Vater! (Schweizer steht auf.)

SCHWEIZER. Großer Hauptmann! Heut hast du mich zum erstenmal stolz gemacht! – Gebeut, wo, wie, wann soll ich ihn schlagen?

MOOR. Die Minuten sind geweiht, du mußt eilends gehn. – Lies dir die Würdigsten aus der Bande und führe sie gerade nach des Edelmanns Schloß! Zerr ihn aus dem Bette, wenn er schläft oder in den Armen der Wollust liegt, schlepp ihn vom Mahle weg, wenn er betroffen ist, reiß ihn vom Kruzifix, wenn er betend vor ihm auf den Knien liegt! Aber ich sage dir, ich schärf es dir hart ein, liefr’ ihn mir nicht tot! Dessen Fleisch will ich in Stücken reißen und hungrigen Geiern zur Speise geben, der ihm nur die Haut ritzt oder ein Haar kränkt! Ganz muß ich ihn haben, und wenn du ihn ganz und lebendig bringst, so sollst du eine Million zur Belohnung haben; ich will sie einem Könige mit Gefahr meines Lebens stehlen, und du sollst frei ausgehn wie die weite Luft. – Hast du mich verstanden, so eile davon!

SCHWEIZER. Genug, Hauptmann – hier hast du meine Hand darauf: Entweder, du siehst zwei zurückkommen oder gar keinen. Schweizers Würgengel, kommt! (Ab mit einem Geschwader.)

MOOR. Ihr übrigen zerstreut euch im Wald – Ich bleibe.

Fünfter Akt

Erste Szene

Aussicht von vielen Zimmern. Finstre Nacht.

Daniel kommt mit einer Laterne und einem Reisebündel.

Daniel. Lebe wohl, teures Mutterhaus – Hab so manch Gut’s und Lieb’s in dir genossen, da der Herr seliger noch lebete. – Tränen auf deine Gebeine, du lange Verfaulter! Das verlangt er von einem alten Knecht – Es war das Obdach der Waisen und der Port der Verlassenen, und dieser Sohn hat’s gemacht zur Mördergrube. – Lebe wohl, du lieber Boden, wie oft hat der alte Daniel dich abgefegt – Lebe wohl, du lieber Ofen, der alte Daniel nimmt schweren Abschied von dir – Es war dir alles so vertraut worden – wird dir weh tun, alter Elieser. – Aber Gott bewahre mich in Gnaden vor dem Trug und List des Argen.

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