Ungekürztes Werk "Die Räuber" von Friedrich Schiller (Seite 74)

fordert einen Höheren vor Euren Richterstuhl. Der Höhere wird Euch dermaleinst antworten!

FRANZ. Itzt will ich’s wissen, itzt, diesen Augenblick, damit ich nicht die schändliche Torheit begehe, und im Drange der Not den Götzen des Pöbels anrufe. Ich hab’s dir oft mit Hohnlachen beim Burgunder zugesoffen: Es ist kein Gott! – Itzt red ich im Ernste mit dir, ich sage dir: Es ist keiner! Du sollst mich mit allen Waffen widerlegen, die du in deiner Gewalt hast; aber ich blase sie weg mit dem Hauch meines Mundes.

MOSER. Wenn du auch ebenso leicht den Donner wegblasen könntest, der mit zehntausendfachem Zentnergewicht auf deine stolze Seele fallen wird! Dieser allwissende Gott, den du Tor und Bösewicht mitten aus seiner Schöpfung zernichtest, braucht sich nicht durch den Mund des Staubes zu rechtfertigen. Er ist ebenso groß in deinen Tyranneien als irgend in einem Lächeln der fliegenden Tugend.

FRANZ. Ungemein gut, Pfaffe! So gefällst du mir.

MOSER. Ich stehe hier in den Angelegenheiten eines größeren Herrn und rede mit einem, der Wurm ist wie ich, dem ich nicht gefallen will. Freilich müßt ich Wunder tun können, wenn ich deiner halsstarrigen Bosheit das Geständnis abzwingen könnte; – aber wenn deine Überzeugung so fest ist, warum ließest du mich rufen? Sage mir doch, warum ließest du mich in der Mitternacht rufen?

FRANZ. Weil ich Langeweile hab und eben am Schachbrett keinen Geschmack finde. Ich will mir einen Spaß machen, mich mit Pfaffen herumzubeißen. Mit dem leeren Schrecken wirst du meinen Mut nicht entmannen. Ich weiß wohl, daß derjenige auf Ewigkeit hofft, der hier zu kurz gekommen ist; aber er wird garstig betrogen. Ich hab’s immer gelesen, daß unser Wesen nichts ist als Sprung des Geblüts, und mit dem letzten Blutstropfen zerrinnt auch Geist und Gedanke. Er macht alle Schwachheiten des Körpers mit, wird er nicht auch aufhören bei seiner Zerstörung? nicht bei seiner Fäulung verdampfen? Laß einen Wassertropfen in deinem Gehirne verirren, und dein Leben macht eine plötzliche Pause, die zunächst an das Nichtsein grenzt, und ihre Fortdauer ist der Tod. Empfindung ist Schwingung einiger Saiten, und das zerschlagene Klavier tönet nicht mehr. Wenn ich meine sieben Schlösser schleifen lasse, wenn ich diese Venus zerschlage, so ist’s Symmetrie und Schönheit gewesen. Siehe da! das ist Eure unsterbliche Seele!

MOSER. Das ist die Philosophie Eurer Verzweiflung. Aber Euer eigenes Herz, das bei diesen Beweisen ängstlich bebend wider Eure Rippen schlägt, straft Euch Lügen. Diese Spinnweben von Systemen zerreißt das einzige Wort: Du mußt sterben! – Ich fodere Euch auf, das soll die Probe sein: wenn Ihr im Tode annoch feste steht, wenn Euch Eure Grundsätze auch da nicht im Stiche lassen, so sollt Ihr gewonnen haben; wenn Euch im Tode nur der mindeste Schauer anwandelt, weh Euch dann! Ihr habt Euch betrogen.

FRANZ (verwirrt). Wenn mich im Tode ein Schauer anwandelt?

MOSER. Ich habe wohl mehr solche Elende gesehen, die bis hieher der Wahrheit Riesentrotz boten; aber im Tode selbst flattert die Täuschung dahin. Ich will an Eurem Bette stehn, wenn Ihr sterbet – ich möchte sogar gern einen Tyrannen sehen dahinfahren – ich

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