Ungekürztes Werk "Die Räuber" von Friedrich Schiller (Seite 75)

will dabei stehn und Euch starr ins Auge fassen, wenn der Arzt Eure kalte nasse Hand ergreift und den verloren schleichenden Puls kaum mehr finden kann und aufschaut und mit jenem schrecklichen Achselzucken zu Euch spricht: Menschliche Hilfe ist umsonst! Hütet Euch dann, o hütet Euch ja, daß Ihr da nicht ausseht wie Richard und Nero!

FRANZ. Nein, nein!

MOSER. Auch dieses Nein wird dann zu einem heulenden Ja – Ein innerer Tribunal, den Ihr nimmermehr durch skeptische Grübeleien bestechen könnt, wird itzo erwachen und Gericht über Euch halten. Aber es wird ein Erwachen sein, wie des lebendig Begrabenen im Bauche des Kirchhofs; es wird ein Unwille sein, wie des Selbstmörders, wenn er den tödlichen Streich schon getan hat und bereut; es wird ein Blitz sein, der die Mitternacht Eures Lebens zumal überflammt; es wird ein Blick sein, und wenn Ihr da noch feste steht, so sollt Ihr gewonnen haben!

FRANZ (unruhig im Zimmer auf- und abgehend). Pfaffengewäsche, Paffengewäsche!

MOSER. Itzt zum erstenmal werden die Schwerter einer Ewigkeit durch Eure Seele schneiden, und itzt zum erstenmal zu spät. – Der Gedanke Gott weckt einen fürchterlichen Nachbar auf, sein Name heißt Richter. Sehet, Moor, Ihr habt das Leben von Tausenden an der Spitze Eures Fingers, und von diesen Tausenden habt Ihr neunhundertneunundneunzig elend gemacht. Euch fehlt zu einem Nero nur das römische Reich und nur Peru zu einem Pizarro. Nun, glaubt Ihr wohl, Gott werde es zugeben, daß ein einziger Mensch in seiner Welt wie ein Wütrich hause und das Oberste zu unterst kehre? Glaubt Ihr wohl, diese Neunhundertundneunundneunzig seien nur zum Verderben, nur zu Puppen Eures satanischen Spieles da? O, glaubt das nicht! Er wird jede Minute, die Ihr ihnen getötet, jede Freude, die Ihr ihnen vergiftet, jede Vollkommenheit, die Ihr ihnen versperret habt, von Euch fodern dereinst; und wenn Ihr darauf antwortet, Moor, so sollt Ihr gewonnen haben.

FRANZ. Nichts mehr, kein Wort mehr! Willst du, daß ich deinen schwarzlebrigen Grillen zu Gebot steh?

MOSER. Sehet zu, das Schicksal der Menschen stehet unter sich in fürchterlich schönem Gleichgewicht. Die Waagschale dieses Lebens sinkend, wird hochsteigen in jenem, steigend in diesem, wird in jenem zu Boden fallen. Aber was hier zeitliches Leiden war, wird dort ewiger Triumph; was hier endlicher Triumph war, wird dort ewige unendliche Verzweiflung.

FRANZ (wild auf ihn losgehend). Daß dich der Donner stumm mache, Lügengeist du! Ich will dir die verfluchte Zunge aus dem Munde reißen!

MOSER. Fühlt Ihr die Last der Wahrheit so früh? Ich habe ja noch nichts von Beweisen gesagt. Laßt mich nur erst zu den Beweisen –

FRANZ. Schweig, geh in die Hölle mit deinen Beweisen! Zernichtet wird die Seele, sag ich dir, und sollst mir nicht darauf antworten!

MOSER. Darum winseln auch die Geister des Abgrunds, aber der im Himmel schüttelt das Haupt. Meint Ihr, dem Arm des Vergelters im öden Reich des Nichts zu entlaufen? Und führet Ihr gen Himmel, so ist er da! und bettetet Ihr Euch in der Hölle, so ist er wieder da! und sprächet Ihr zu der Nacht: Verhülle mich! und zu der Finsternis: Birg mich!

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