Ungekürztes Werk "Die Räuber" von Friedrich Schiller (Seite 76)

so muß die Finsternis leuchten um Euch, und um den Verdammten die Mitternacht tagen – aber Euer unsterblicher Geist sträubt sich unter dem Wort und siegt über den blinden Gedanken.

FRANZ. Ich will aber nicht unsterblich sein – sei es, wer da will! ich will’s nicht hindern. Ich will ihn zwingen, daß er mich zernichte, ich will ihn zur Wut reizen, daß er mich in der Wut zernichte. Sag mir, was ist die größte Sünde, und die ihn am grimmigsten aufbringt?

MOSER. Ich kenne nur zwo. Aber sie werden nicht von Menschen begangen, auch ahnden sie Menschen nicht.

FRANZ. Diese zwo? –

MOSER (sehr bedeutend). Vatermord heißt die eine, Brudermord die andere. – Was macht Euch auf einmal so bleich?

FRANZ. Was, Alter? Stehst du mit dem Himmel oder mit der Hölle im Bündnis? Wer hat dir das gesagt?

MOSER. Wehe dem, der sie beide auf dem Herzen hat! Ihm wäre besser, daß er nie geboren wäre! Aber seid ruhig, Ihr habt weder Vater noch Bruder mehr!

FRANZ. Ha! – was, du kennst keine drüber? Besinne dich nochmals – Tod, Himmel, Ewigkeit, Verdammnis schwebt auf dem Laut deines Mundes – keine einzige drüber?

MOSER. Keine einzige drüber.

FRANZ (fällt in einen Stuhl). Zernichtung! Zernichtung!

MOSER. Freut Euch, freut Euch doch! Preist Euch doch glücklich! – Bei allen Euren Greueln seid Ihr noch ein Heiliger gegen den Vatermörder. Der Fluch, der Euch trifft, ist gegen den, der auf diesen lauert, ein Gesang der Liebe, – die Vergeltung –

FRANZ (aufgesprungen). Geh in tausend Grüfte, du Eule! Wer hieß dich hieher kommen? Geh, sag ich, oder ich stoß dich durch und durch!

MOSER. Kann das Pfaffengewäsche so einen Philosophen in Harnisch jagen? Blast es doch weg mit dem Hauch Eures Mundes! (Geht ab.)

FRANZ (wirft sich in seinem Sessel herum in schrecklichen Bewegungen. Tiefe Pause).

Ein Bedienter, eilig.

BEDIENTER. Amalia ist entsprungen, der Graf ist plötzlich verschwunden.

Daniel kommt ängstlich.

DANIEL. Gnädiger Herr, jagt ein Trupp feuriger Reuter die Steig herab, schreien Mordjo, Mordjo! – das ganze Dorf in Alarm.

FRANZ. Geh, laß alle Glocken zusammenläuten, alles soll in die Kirche – auf die Knie fallen alles – beten für mich – alle Gefangene sollen los sein und ledig, ich will den Armen alles doppelt und dreifach wiedergeben, ich will – so geh doch – so ruf doch den Beichtvater, daß er mir meine Sünden hinwegnehme! – Bist du noch nicht fort? (Das Getümmel wird hörbarer.)

DANIEL. Gott verzeih mir meine schwere Sünde! Wie soll ich das wieder reimen? Ihr habt ja immer das liebe Gebet über alle Häuser hinausgeworfen, habt mir so manche Postill und Bibelbuch an den Kopf gejagt, wenn Ihr mich ob dem Beten ertapptet –

FRANZ. Nichts mehr davon! – Sterben! Siehst du? Sterben! – Es wird zu spät! (Man hört Schweizern toben.) Bete doch! Bete!

DANIEL. Ich sagt’s Euch immer – Ihr verachtet das liebe Gebet so – aber gebt acht, gebt acht! wenn die Not an Mann geht, wenn Euch das Waser an die Seele geht, Ihr werdet alle Schätze der Welt um ein christliches Seufzerlein geben. – Seht Ihr’s? Ihr verschimpftet mich!

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